Der Dritte Zwilling.
zählte zur älteren Generation; zu seiner Zeit hatten andere Regeln gegolten. Doch sie konnte nicht für ihn das Hausmädchen spielen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Sie hatte ihren Job, und den wollte sie behalten. Indem sie Dad einen Platz gegeben hatte, wo er sein müdes Haupt betten konnte, hatte sie bereits mehr für ihn getan als er für sie, zumindest für den größten Teil ihres Lebens.
Dennoch wünschte sich Jeannie, sie hätte sich freundlicher von ihm verabschiedet. Er war, weiß Gott, nicht der Vater, den man sich wünschte, aber er war der einzige, den sie hatte.
Sie stellte ihren Wagen in einem Parkhaus ab und ging durch das Rotlichtviertel zur Polizeizentrale. Das Gebäude besaß eine protzige Eingangshalle mit Sitzbänken aus Marmor und einem Wandgemälde, das Szenen aus der Geschichte Baltimores zeigte. Jeannie sagte dem Mann am Empfangsschalter, daß sie mit Mr. Steven Logan sprechen wolle, der in polizeilichem Gewahrsam sei. Sie rechnete damit, auf Schwierigkeiten zu stoßen, doch nach wenigen Minuten führte eine Frau sie ins Innere des Gebäudes und ging mit ihr zum Aufzug.
Jeannie wurde in ein Zimmer gebracht, das die Größe eines Wand schranks besaß.
Bis auf ein kleines Glasfenster in Kopfhöhe und ein Sprechgitter darunter war das Zimmer völlig leer; durch das Fenster konnte man in einen anderen, ebenso kahlen und winzigen Raum blicken. Es gab keine Möglichkeit, von einer Kammer in die andere zu gelangen, es sei denn, man schlug ein Loch in die Wand.
Jeannie starrte durch das Fenster. Nach etwa fünf Minuten wurde Steve Logan in den Raum gegenüber geführt. Jeannie sah, daß er Handschellen trug und daß seine Füße aneinander gekettet waren, als wäre er gefährlich. Er kam zum Fenster und spähte hindurch. Als er Jeannie erkannte, lächelte er. »Das ist aber eine angenehme Überraschung! Das einzig Erfreuliche, was mir heute widerfahren ist.«
Auch wenn Steven sich fröhlich gab - er sah schrecklich aus: müde und abgespannt.
»Wie geht es Ihnen?« fragte Jeannie.
»Bin ziemlich mitgenommen. Man hat mich zu einem Mörder in die Zelle gesteckt, der unter einem Rauschgiftkater leidet. Ich hab’ Angst zu schlafen.«
Eine Woge des Mitgefühls überschwemmte Jeannie; dann aber mußte sie daran denken, daß dieser Mann angeblich Lisa vergewaltigt hatte. Doch sie konnte es nicht glauben. »Was meinen Sie, wie lange Sie noch hierbleiben müssen?«
»Morgen findet das Kautionsprüfungsverfahren vor einem Richter statt. Falls er die Kaution ablehnt, muß ich wohl hinter Gittern blei ben, bis das Ergebnis der DNS-Untersuchung vorliegt. Und das dauert angeblich drei Tage.« Die Erwähnung der DNS erinnerte Jeannie an den Grund ihres Besuchs. »Ich war heute bei Ihrem Zwillingsbruder.«
»Und?«
»Es gibt keinen Zweifel. Er ist Ihr Doppelgänger.«
»Vielleicht hat er Lisa Hoxton vergewaltigt.«
Jeannie schüttelte den Kopf. »Da müßte er übers Wochenende aus dem Gefängnis ausgebrochen sein. Aber er sitzt immer noch hinter Gittern.«
»Wäre es nicht möglich, daß er getürmt und dann wieder zurückge kehrt ist? Um sich auf diese Weise ein Alibi zu verschaffen?«
»Völlig undenkbar. Würde Dennis ein Ausbruch gelingen, könnte nichts ihn dazu bewegen, ins Gefängnis zurückzukehren.«
»Da haben Sie wohl recht«, sagte Steve düster.
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Schießen Sie los.«
»Zuerst müßte ich noch einmal Ihren Geburtstag wissen.«
»Fünfundzwanzigster August.«
Genau das Datum, das Jeannie sich notiert hatte. Vielleicht hatte sie bei der Ermittlung von Dennis’ Geburtstag einen Fehler gemacht. »Wissen Sie auch, wo Sie geboren wurden?«
»Ja. Dad war damals in Fort Lee in Virginia stationiert. Ich wurde im dortigen Armeehospital geboren.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut. Mom hat in ihrem Buch Mutter werden ist nicht schwer darüber geschrieben.« Seine Lider wurden schmal, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, der Jeannie allmählich vertraut wurde: Er überlegte, was sie jetzt wohl denken mochte. »Wo wurde Dennis ge boren?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Aber wir wurden am selben Tag geboren.«
»Dennis behauptet, sein Geburtstag wäre der siebte September. Aber das könnte ein Irrtum sein. Ich werde es noch einmal überprü fen. Sobald ich in meinem Büro bin, rufe ich seine Mutter an. Haben Sie schon mit Ihren Eltern gesprochen?«
»Nein.«
»Möchten Sie, daß ich sie anrufe?«
»Nein! Bitte. Ich will
Weitere Kostenlose Bücher