Der Dritte Zwilling.
»Können Sie die Nummer behalten?«
»Kein Problem.«
Jeannie ging nur widerwillig. Sie bedachte ihn mit einem aufmunternden Lächeln. »Viel Glück.«
»Danke. Das kann ich hier brauchen.«
Jeannie wandte sich um und verließ die Kammer.
Die Polizistin führte sie in die Eingangshalle. Die Dunkelheit brach herein, als Jeannie zum Parkhaus gelangte. Sie bog auf den Jones Falls Expressway ab, hielt sich in nördliche Richtung und schaltete die Scheinwerfer des alten Mercedes ein.
Sie fuhr zu schnell; sie konnte es kaum erwarten, zur Universität zu kommen.
Jeannie fuhr immer zu schnell. Sie war eine gute, aber ziemlich leichtsinnige Fahrerin; das wußte sie. Aber sie hatte einfach nicht die Geduld, das 50-Meilen-Tempolimit einzuhalten.
Lisas weißer Honda Accord parkte bereits vor der Klapsmühle. Jeannie stellte ihren Wagen daneben ab und betrat das Gebäude. Lisa knipste gerade die Lampen im Labors an. Die Kühlbox mit Dennis Pinkers Blutprobe stand auf dem Experimentiertisch.
Jeannies Büro befand sich auf der anderen Seite des Flures. Sie ließ ihre Karte durchs Lesegerät gleiten, trat ins Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und wählte die Nummer der Pinkers in Richmond. »Na, endlich«, sagte sie, als sie das Freizeichen hörte.
»Wie geht es meinem Sohn?« erkundigte sich Charlotte. »Er ist bei guter Gesundheit«, erwiderte Jeannie. Und er machte nicht einmal den Eindruck eines Psychopathen, dachte sie, bis er das Messer zog und mir den Slip weggenommen hat. »Und er war sehr hilfsbereit«, fügte sie hinzu, nur um Charlotte noch etwas Positives zu sagen.
»Er hatte schon immer ausgezeichnete Manieren«, erklärte Charlotte in gedehntem Südstaatenakzent, den sie stets dann benutzte, wenn sie ihre haarsträubendsten Äußerungen unterstreichen wollte.
»Darf ich mich noch einmal nach Dennis’ Geburtstag erkundigen, Mrs. Pinker?«
»Er wurde am siebten September geboren.« Ihre Stimme hörte sich an, als sollte man dieses Datum zum Nationalfeiertag erklären.
Es war nicht die Antwort, die Jeannie sich erhofft hatte. »Und in welchem Krankenhaus?«
»Wir waren damals in Fort Bragg, North Carolina.« Jeannie unterdrückte einen Fluch der Enttäuschung. »Der Major hat dort Wehrpflichtige für Vietnam ausgebildet«, er klärte Charlotte stolz. »In Bragg hat das Sanitätskorps des Heeres ein großes Krankenhaus. Dort hat Dennis das Licht der Welt erblickt.«
Jeannie wußte nicht mehr, was sie noch fragen sollte. Das Geheim nis war so unergründlich wie zuvor. »Danke, Mrs. Pinker, für Ihre Hilfsbereitschaft.«
»Gern geschehen.«
Jeannie ging hinüber ins Labor. »Offenbar wurden Dennis und Ste ven in einem zeitlichen Abstand von dreizehn Tagen geboren«, sagte sie, nachdem sie Lisa begrüßt hatte. »Noch dazu in verschiedenen Staaten. Das begreife ich einfach nicht.«
Lisa öffnete eine Schachtel mit Reagenzgläsern. »Tja, aber unsere Untersuchung wird keinen Zweifel lassen. Der DNS-Test ist unbestechlich. Falls ihre DNS identisch ist, sind sie eineiige Zwillinge, egal was jemand über Ort und Tag der Geburt behauptet.« Sie nahm zwei kleine Glasgefäße aus der Schachtel, beide etwa fünf Zentimeter lang, mit verschließbarem Deckel und kegelförmigem Boden. Dann öffnete Lisa ein Päckchen mit Aufklebern. Auf einen schrieb sie ›Dennis Pin kers‹ auf den anderen ›Steven Logan‹. Sie klebte die Schildchen auf die Reagenzgläser und setzte sie in ein Gestell.
Sie brach das Siegel an Dennis’ Blutprobe und gab einen Tropfen in eines der Reagenzgläser. Dann nahm sie eine Phiole mit Stevens Blut aus dem Kühltresor und verfuhr damit genauso wie mit Dennis’ Probe. Mittels einer geeichten Präzisionspipette - einem Röhrchen mit einem winzigen Kolben am Ende -, füllte Lisa eine geringe Menge Chloroform in beide Reagenzgläser. Dann nahm sie eine weitere Pi pette und fügte genau dieselbe Menge Phenol hinzu.
Sie verschloß beide Reagenzgläser und stellte sie für einige Zeit in ein Schleudergerät, um die Substanzen gründlich durchzumischen. Auf diese Weise wurden die Fette im Chloroform gelöst, während das Phenol die Proteine aufspaltete, wobei die langen, gewundenen Mole küle der Desoxyribonukleinsäure jedoch unversehrt blieben.
Schließlich stellte Lisa die Reagenzgläser in das Gestell zurück. »Mehr können wir in den nächsten paar Stunden nicht tun«, sagte sie. Das in Wasser gelöste Phenol würde sich langsam vom Chloroform trennen, und an der
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