Der Dschunken Doktor
singen: Nun danket alle Gott …« Ting sah Dr. Merker ohne Zorn oder Leidenschaft an, eher erstaunt war sein Blick. »Warum – das begreife ich nicht – spricht man nur von der asiatischen Grausamkeit? Warum nie von der weißen? Waren es Ihre oder unsere Leute, die die erste Atombombe konstruiert und sogar eingesetzt haben? Sie schrecken vor in Stücken geschnittenen, verkauften lebenden Schlangen und Leguanen zurück … aber in Hiroshima und Nagasaki hat ein einziger Feuerschlag Hunderttausende getötet und Hunderttausende verkrüppelt. Sir, ich bin – die Weißen so betrachtet – stolz darauf, ein Asiate zu sein!«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen, Kommissar Ting«, sagte Dr. Merker gepreßt. »Ich weigerte mich nur, Ihren Gedanken zu folgen. Unsere schöne Unbekannte ist noch kein Fall für eine Sterbehilfe.«
»Wann ist bei Ihnen jemand tot?«
»Klinisch tot … wenn keine Hirnströme mehr meßbar sind.«
»Das haben wir gleich.« Ting trat wieder an das Bett und beugte sich über die Unbekannte. Sie lächelte ihn maskenhaft an. »Wir werden dir jetzt eine Spritze geben, damit du schneller tot bist«, sagte er laut und grob. »Yo will das auch so …«
Die Unbekannte sah Ting an, schwieg und lächelte.
Ting Tse-tung richtete sich auf und wies triumphierend auf die Kranke: »Keinerlei Reaktion! Ihr Gehirn ist tot. Wenn Sie jetzt etwas tun, stellen Sie nur eine Pumpe ab!«
»Keine Diskussion mehr darüber, Kommissar Ting!« sagte Dr. Merker abweisend. »Aber eine Minute nach ihrem Tod beginne ich mit der Sektion, das ist sicher. Da gibt es kein Zögern …«
»Hoffentlich haben wir bis dahin keinen sechsten Fall«, sagte Ting dunkel. »Dann wird es unmöglich sein, die Öffentlichkeit weiter im unklaren zu lassen …«
In der gleichen Nacht bekam Dr. Merker noch einmal Besuch. Dr. Wang An-tse schaute im Military Hospital vorbei. Er trug einen Maßsmoking, ein Seidenhemd mit Rüschen und schmale Lackstiefeletten. Am Ringfinger der linken Hand blitzte ein großer Brillant.
»Sie lebt noch immer!« sagte er verblüfft, als er die Unbekannte gesehen hatte. »Helfen tatsächlich Ihre Infusionen?«
»Der Verfall ist rapide. Jetzt schläft sie – aber immerhin habe ich es fertiggebracht, daß sie wach wurde.«
»Sie wurde wach?« wiederholte Dr. Wang steif.
»Sie war den ganzen Nachmittag ansprechbar …«
»Ansprechbar?«
»So ist es. Wir haben uns ungefähr eine Stunde lang unterhalten.« Das war gelogen, aber Dr. Merker ärgerte die etwas hochnäsige Art, in der Dr. Wang An-tse mit ihm verkehrte.
»Das ist ja kaum glaubhaft!« Dr. Wang nahm seine Goldbrille ab, putzte sie, als sei sie plötzlich beschlagen gewesen, und blinzelte Dr. Merker kurzsichtig an. »Sie hat richtig gesprochen?«
»Warum zweifeln Sie mein Ergebnis an, Herr Kollege?«
»Die vier Kranken vor ihr blieben stumm wie ein Papierkopf …«
»Sie erwähnte einen gewissen Yo …«, sagte Dr. Merker leichthin.
Dr. Wang schielte zu ihm hin und setzte die Brille wieder auf: »Wer ist Yo?«
»Lassen Sie mir bitte auch ein kleines Geheimnis, Herr Kollege«, wich Merker geschickt aus.
»Ich gratuliere!« Dr. Wang warf noch einen Blick auf die schlafende Unbekannte und ging dann zur Tür. »Kann ich Ihnen meine Hilfe anbieten, Herr Kollege?«
»In welcher Richtung?«
»Ich könnte Ihnen einige Nachtwachen abnehmen.«
»Wenn Ihr Kwong Wah Hospital nicht darunter leidet …«
»Im Moment nicht. Zwei meiner Oberärzte sind aus dem Jahresurlaub zurückgekommen. Ich habe jetzt persönlich mehr Luft. Sie sehen es.« Er strich lächelnd an seinem Smoking hinunter. »Ein Sinfoniekonzert drüben in Victoria. Vor einer Woche hätte ich dazu keine Zeit gehabt. Ein Beethovenkonzert. Wundervoll. Ich liebe Beethoven! – Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Darüber können wir uns unterhalten, Dr. Wang.« Merker setzte sich wieder an den kleinen Tisch seitlich des Bettes und drehte die Tischlampe mehr zur Wand. »Ich habe Ihre Obduktionsberichte gelesen. Sehr genau und hervorragend.«
»Danke.«
»Aber ich hätte da einige Fragen.«
»Jederzeit. Welche?« Wang An-tse blieb an der Tür stehen, die Hand auf dem Griff. »Soll ich Sie morgen nacht ablösen?«
»Das wäre ein Vorschlag. Um zwanzig Uhr. Wunderbar! Dann werde ich mir nach langer Zeit wieder ein Schlemmermahl im Gaddi's leisten.«
»Ich komme gerade von einer Nachfeier aus dem Peninsula Hotel. Wir haben Beethoven noch mit Champagner ausklingen lassen.«
»Den der arme Kerl nie
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