Der Dschunken Doktor
zugeben. Am besten schützt man sich selbst.«
»Wie, Herr Kollege?«
»Indem man nicht auffällt.«
»Wem auffällt?«
»Was weiß ich? Man sollte ohne Ecken und Kanten leben. Ein anonymer Mensch sein. Sie wissen ja gar nicht, Dr. Merker, was sich hinter den Marmor- und Glasfassaden der Hochhäuser alles abspielt. Der Glanz der Millionen ist oft nur aus Dreck gebaut. Hongkong, die Stadt unmeßbaren Reichtums … die Tränen dahinter zählt keiner. Sie interessieren ja auch nicht – nur das Geschäft gilt. Der Dollarschein.« Dr. Wang sah Dr. Merker kurz an. »Was darf ich Ihnen anbieten? Alkohol oder Fruchtsaft?«
»Bloß keinen Alkohol!«
»War wohl eine harte Nacht?« Dr. Wang lächelte verhalten. »Muß auch mal sein, Herr Kollege …«
»Mir wäre lieber gewesen, ich hätte am Bett unserer Unbekannten gesessen.«
Dr. Wang goß aus einer Flasche, die er aus der in dem Schreibtisch eingebauten Kühlbar holte, zwei Gläser mit Maracuja-Saft voll. Mit Genuß trank Merker das erfrischende Getränk in zwei Zügen weg. »Übrigens hat mich Kommissar Ting ganz schön beschimpft.«
»Das glaube ich.«
»Er hat was gegen mich. Warum eigentlich?«
»Weil das der fünfte Fall war, bei dem Sie ihm nur eine Fehlanzeige melden konnten. Deshalb sollte ich die Obduktion vornehmen.«
»Und Sie glauben, Sie hätten mehr gefunden als ich?« Es klang sehr deprimiert. »Ich bin doch kein Nichtskönner …«
»Ich werde die Präparate noch einmal durchackern«, sagte Dr. Merker. »Wann ist Ihr Bericht fertig, Dr. Wang?«
»Ein paar Minuten noch.«
Eine Dreiviertelstunde später saß Dr. Merker wieder in einem Taxi und fuhr zum Polizeihauptquartier. Diesmal war Kommissar Ting da und empfing ihn mit düsterer Miene. »Eine Katastrophe«, sagte er nur. »Wo haben Sie bloß gesteckt?«
»In einem Bett bei James McLindlay.«
Ting Tse-tung riß seine Augen auf. »Wie kommen Sie denn an den?«
»Ist das so schwierig?«
»Eher landen Sie auf dem Mond als in seinem Haus, wenn er Sie nicht mag …«
»Seine schöne Freundin Betty hat mich umgefahren und als Wiedergutmachung in die Märchenfestung mitgenommen. Übrigens, da fällt mir ein … ich mußte meine Pistole am Eingang abgeben und habe sie nicht wiederbekommen.«
»Dann fahren Sie eben noch mal hin und holen sich das Ding.« Ting saß hinter seinem Tisch, trank grünen Tee mit Honig und wirkte sehr zerknittert. »Nun stehen wir wieder bei Null!«
»Wer konnte ahnen, daß sie gerade in dieser Nacht stirbt?«
»Und ausgerechnet in einem Augenblick, als nur Dr. Wang bei ihr war.«
»Sie mögen ihn nicht, nicht wahr?«
»Er hat mit seiner Obduktion wieder alles vernebelt. Unsere ganze Hoffnung lag bei Ihnen.«
»Für Wang war das eine Herausforderung, nachdem ich ihm Leichtfertigkeit vorgeworfen hatte.«
»Das war ein Fehler von Ihnen. Er mußte sein Gesicht wahren. Es ist zum Kotzen, wirklich!« Ting blickte auf die Klarsichthülle, die Dr. Merker in der Hand hielt. »Wangs Obduktionsbericht?«
»Ja.«
»Viel Worte um ein Nichts, was?«
»So kann man es nennen. Klare Todesursache … nur die Krankheit kennt man nicht. Rundum ein Rätsel.« Dr. Merker warf den Bericht auf den Tisch. »Was konnten Sie noch herausbekommen im Zusammenhang mit dem Mord?«
»Wir haben alle Kunstblumenhersteller oder Exporteure befragt … natürlich kennt keiner einen Reginald M. Rogers. War zu erwarten. Legen wir also diesen Mord auch als unlösbar in den Panzerschrank. Und warten wir auf den nächsten …«
»Sie meinen, er kommt?«
»Wenn es stimmt, was ich ahne … ja!« Ting schob den Obduktionsbericht ungelesen mit einer Handbewegung in die Schreibtischschublade, als stinke das Aktenstück. Mit einem Knall schob er die Lade zu. »Was uns bisher bekannt geworden ist, waren alles Tests. Davon bin ich überzeugt. Wir haben keine Ahnung, ob irgendwo auf der Welt noch mehr Tote an dieser Krankheit litten und ob man überhaupt erkannt hat, daß diese Lebertoten etwas Besonderes sind. Aber weil es hier fünfmal passiert ist, beweist mir dies: Der Herd liegt in Hongkong.«
Ting trank wieder einen Schluck des süßen Tees. »Was haben Sie jetzt vor, Doktol Melkel?«
»Ich kehre zu meinen Tropenkrankheiten im Labor des Queen Elizabeth Hospitals zurück und werde mich freuen, wieder anonym zu sein. Man wird keine Giftzähne mehr als Warnung an mich schicken.«
»Sehen Sie, genau das ist es!« Ting lächelte breit, aber voll Sarkasmus. »Diese Warnung beweist doch, daß wir den
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