Der Dschunken Doktor
erster Eindruck Ihnen sagt: Da ist ein Idiot … Sie haben recht! Man hält mich für verrückt! Das ist ein angenehmer Zustand! Keiner nimmt einem mehr etwas übel. Man kann tun und lassen was man will. Ab und zu ein Brüllen, ein paar Paukenschläge, Schallplattenkonzerte mit grausam falschen Einsätzen von mir … und schon ist die Umwelt zufrieden. Es lebt sich herrlich so.«
Er gab Dr. Merker die Hand, während Yang ihn demütig auf die Stirn küßte und sich darauf tief verneigte. Dr. Mei hielt Merkers Hand fest.
»Sie sind so wunderbar jung«, sagte er.
»Schon zweiunddreißig, Dr. Mei.«
»O Himmel! In diesem Alter war für mich der Weg mit Blüten bestreut. Schon zweiunddreißig!« Er ließ Merkers Hand endlich los und machte eine weite Armbewegung. »Suchen Sie sich einen Platz, wo Sie sitzen können, Kollege. Da, der Flechtsessel, der könnte Sie noch aushalten. Ich bin nicht mehr auf Besuch eingerichtet. Ich habe einen Stuhl und ein Bett, das reicht für mich. Die Welt ist klein geworden.«
Er wandte sich ab, ging zu einem Schrank und stieß beide Türen auf. Alle Regale waren gefüllt mit Flaschen, vom Gin bis zum Wodka. Dr. Mei lachte, als habe man ihm einen guten Witz erzählt.
»Ich kann Ihre Gedanken lesen, Kollege: Keine Praxis, keine Patienten, kein Einkommen … woher nimmt der Kerl das Geld, sich den Schrank zu füllen? Mein lieber Dr. Merker, ich habe hier in Yau Ma Tei über vierzig Jahre lang Kinder geholt und Totenscheine ausgestellt. Ich kenne jeden Tripper auf den Dschunken, jeden Tuberkulosen, jeden Tumor. Werfe ich eine leere Flasche über Bord, wird das sofort registriert, und am nächsten Tag steht eine neue volle auf den Planken! Das ist Dankbarkeit der Patienten. Man könnte weinen vor Rührung.«
Dr. Merker schwieg. Er setzte sich vorsichtig in den Flechtsessel, das Gestell knackte in allen Fugen, aber es hielt sein Gewicht aus. Auch der Flechtsitz zerriß nicht unter der Belastung. Yang setzte sich auf den Boden, auf einen Haufen alter Matten, die einmal kunstvoll mit Farben und Motiven bemalt gewesen waren, nun aber, wie alles hier auf der Dschunke, verrotteten. Sie sank in sich zusammen, und wieder hatte Merker das Gefühl, daß eine große Demut über sie kam in Gegenwart von Dr. Mei.
»Was soll's sein?« rief Dr. Mei von seinem gefüllten Schrank her. »Wünschen Sie sich das Verrückteste, ich hab's! Ob den höllischen Absinth oder den würzigen Ouzo, ob Metaxa oder mexikanischen Tequila … bei mir können Sie sich toll saufen!«
»Ein Glas Whisky sour, bitte …«, sagte Merker.
»Mein Gott, sind Sie impotent? Sie bekommen einen Becher voll Wodka, sonst betrachte ich Sie als lebensuntüchtige, mit Blut gefüllte Röhre …« Dr. Mei schüttete zwei Wassergläser voll Wodka, reichte eins an Dr. Merker weiter, setzte sein Glas an die Lippen und schüttete den Wodka, ohne zu schlucken, in sich hinein. »Das belebt!« sagte er zufrieden und betrachtete lächelnd Merker, der seinen Wodka in kleinen Zügen nippte. Plötzlich wurde er ernst, sein dickes Gesicht wurde maskenhaft, er setzte sich auf einen niedrigen Hocker, der mit fast haarlosem Affenfell überzogen war, und faltete die Hände über dem Bauch. »Yang sagte mir, daß Sie in einer interessanten Forschung stecken.«
»Es ist alles übertrieben dargestellt worden.« Dr. Merker blickte auf Yang. Sie hockte unbeweglich, wie eine Porzellanfigur, auf den Matten. »Die Polizei vermutet hinter einigen mysteriösen Morden, bei denen die Mörder alle hinterher an einer Leberzersetzung starben, eine Organisation, die eine noch unbekannte Krankheit als Massenvernichtungsmittel erprobt. Eine neue biologische Waffe, wenn man so will. Ich habe die Leber der letzten Toten analysiert. Ohne Ergebnis. Ich habe das tiefgefrorene Hirn untersucht … auch negativ. Das ist die volle Wahrheit. Amtlich aber wird ausgestreut, ich hätte eine Spur.«
»Ein guter Trick.«
»Mir ist es unangenehm.«
»Ich war einmal ein guter Arzt«, sagte Dr. Mei. »Wie lange ist das her? Ich weiß es nicht, ich lebe ohne Zeit! In dieser grauen Vergangenheit habe ich einmal einen Menschen gesehen, der so starb, wie Sie es beschrieben haben. Ich saß daneben und konnte nicht helfen. Alles, was ich gelernt hatte, war nutzlos geworden. Ich sah ein, daß ich gar nichts wußte. Und doch wußte ich: Hier hat man einen Menschen vernichtet auf eine Art, die uns alle hilflos macht.«
»Zuerst war das Heroin, nicht wahr?« sagte Dr. Merker leise.
»Ich nahm
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