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Der Dschunken Doktor

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Titel: Der Dschunken Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lassen. Weil es Dr. Mei war, haben sich die anderen Bewohner rundherum daran gewöhnt, ja, sie standen immer an Deck, wenn Dr. Mei seine Grammophonplatten spielte und selbst die Paukenpartien übernahm. So oft sind in Hongkong nie Beethoven, Tschaikowski, Bruckner, Brahms oder Mahler gespielt worden, wie hier in der Schwimmenden Stadt. Dr. Meis Nachbarn kennen jede Beethoven-Sinfonie auswendig! Als er später betrunken weiterpaukte, beschwerten sie sich sogar über seine falschen Einsätze – solche Kenner waren sie geworden. Jetzt haut er nur noch auf die Pauken, wenn er, total betrunken, irgendeinen inneren Druck loswerden will. Sie sehen, er erwartet uns!«
    An dem glitschigen Leib der Dschunke pendelte eine uralte Strickleiter. Das schmale Boot hielt, das kleine Mädchen zog das Ruder ein und lächelte Dr. Merker an.
    »Die reißt wie Spinnweben, wenn ich draufstehe!« sagte er und griff nach der Strickleiter.
    »Vertrauen Sie auf Ihr Glück! Bisher hatten Sie davon eine große Portion.«
    »Das stimmt.« Dr. Merker sah Yang mit einem unsicheren Lächeln an. »Ich darf bei Ihnen sein … was kann mir Glück noch mehr bieten …«
    »Steigen Sie hinauf!« Sie berührte seine Schulter, und Merker wußte nicht, ob es ein auffordernder Druck oder ein verhaltenes Streicheln seines Nackens war. »Und keine Angst! Die Leiter hält. Ich weiß es …«
    Mit Mühe erreichte Dr. Merker das glitschige Deck der Dschunke und half dann Yang über die Bordwand. Dabei griff er zu, zog sie an sich und hielt sie umschlungen. Er spürte ihren Körper, als sei zwischen ihnen kein Stoff mehr.
    »Sie Feigling!« sagte sie. Ihre Stimme war plötzlich um vieles dunkler und wie in Samt gehüllt. »Nun küssen Sie mich doch endlich …«
    Es war ein Kuß, den Dr. Merker bis in die Zehenspitzen fühlte. Ein heller Paukenwirbel, genau unter ihren Füßen, fuhr dazwischen und trennte sie.
    »Mein Gott, ich liebe dich …«, sagte Yang. »Es ist fürchterlich, aber ich kann davor nicht weglaufen! Was soll ich tun?«
    »Wir werden ein eigenes Paradies haben, Yang.«
    »In dieser Hölle?!«
    »Ich sehe keine Hölle. Ich sehe nur ein verkommenes Schiff, eine schwimmende Lichterstadt, dreckiges Wasser voller Abfälle, eine Wolke von Gestank … alles Dinge, denen wir entfliehen werden.«
    »Entfliehen wollen, Fritz … aber nicht werden. Wir kommen hier nicht heraus.«
    »Das Gegenteil werde ich beweisen.« Er zog Yang an sich, strich das lange schwarze Haar aus ihrem schmalen Gesicht und küßte sie wieder. Ein neuer Paukenwirbel fuhr dazwischen. Yang lachte, bog sich in seinen Armen zurück und drückte sich mit beiden Händen von seiner Brust ab. Ein Lachen, in dem Bitterkeit mitklang.
    »Es geht schon los!« sagte sie. »Nicht einmal küssen können wir uns in Ruhe …«
    Sie stiegen die Treppe hinab in das Innere der Dschunke, kamen in einen Vorraum, von dessen Decke eine nackte Glühbirne hing, und hörten Dr. Mei, der in deutscher Sprache rief: »Die nächste Tür, Herr Kollege. Bei mir können Sie sich nicht verlaufen …«
    »Was hat er gesagt«, fragte Yang erstaunt.
    »Er sprach deutsch und sagte: Kommt herein!« Dr. Merker stieß die Tür auf. Ein weiter Raum tat sich auf, an dessen Ende zwei Kesselpauken standen. Im Gegensatz zum Schiff waren sie gepflegt und geputzt; das Chromgestänge, in dem die Kessel hingen, blitzte, die Kessel selbst blinkten, als habe man sie gewichst. Und dahinter hockte auf einem Stuhl Dr. Mei Ta-kung, hob grüßend die Paukenschlegel und ließ einen Wirbel los, wie es der Paukist eines Sinfonieorchesters nicht perfekter konnte. Dann legte er die Schlegel auf das Paukenfell, erhob sich und kam ihnen entgegen.
    Dr. Mei Ta-kung, das war Dr. Merkers erster Eindruck, sah durchaus nicht aus wie ein Mensch, der sich zu Tode säuft. Er war klein und rund, hatte dicke Backen, was sein chinesisches Gesicht noch großflächiger wirken ließ; man konnte sein Alter deshalb kaum schätzen. Nur das schüttere, schneeweiße Haar, das ihm lang über die Schultern hing, gab Anlaß, ihn für einen alten Mann zu halten. Wie viele dicke Menschen sah er irgendwie zeitlos aus.
    Auffallend war seine Kleidung: Er steckte in einem vielfach geflickten chinesischen Morgenrock, und an den bloßen Füßen trug er zerschlissene Filzpantoffeln. Die Oberseite des linken Pantoffels hatte sich von der Sohle gelöst … die nackten Zehen blickten hervor.
    »Junger Kollege«, sagte Dr. Mei Ta-kung und verbeugte sich vor Dr. Merker, »wenn Ihr

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