Der Dschunken Doktor
mit der Fortpflanzung ist, wie ein Körper auf Reize reagiert, daß das Wachsen etwa mit 18 Jahren aufhört, daß es verschieden große Menschen gibt, lange dürre und kleine dicke, wozu er selbst gehörte, und Liang hatte das alles abgetastet und sich ein eigenes Bild von den Menschen gemacht.
Sie hatte sich erzählen und beschreiben lassen, wie ihre Umwelt aussah, was Wasser und was Erde ist, was eine Dschunke, was eine Rikscha, was ein Haus, was ein Auto, was ein Motorschiff. Jetzt, mit neunzehn, hatte sie längst ihre Welt begriffen und stellte sie sich schön und bunt vor, denn auch bunt hatte man ihr erklärt, da um sie herum und in ihr alles dunkel war. Nie aber begriff sie, wie in einer so schönen Welt so böse Menschen leben konnten, mit Stimmen, die sie oft entsetzten.
Liang Tschangmao blickte mit ihren leeren Augen zur Tür. Zwei Männer sind es, hörte sie. Der Geruch von Whisky wehte ihr entgegen. Den kannte sie genau, und sie lächelte in die Dunkelheit hinein.
»Oh, der ehrwürdige Dr. Mei«, sagte sie. »Sie kommen in mein elendes Boot, hoher Herr?«
»Das ist es, was wir brauchen!« sagte Mei zu Dr. Merker. »Sie hat noch nichts gehört, aber alles gerochen. Sie ist wie ein Tier … für Tiere stinken wir Menschen ja erbärmlich!« Und auf Wasser-Chinesisch sagte er: »Ja, ich bin es, Liang. Ich bringe noch einen Arzt mit, einen Deutschen. Ich komme zu dir, damit du uns hilfst.« Er kam auf den Knien in den niedrigen Aufbau. Dr. Merker folgte ihm. »Hast du keine Lampe?«
»Wozu brauche ich eine Lampe, ehrwürdiger Herr?«
»Das stimmt.« Dr. Mei blickte in die Dunkelheit zu der Ecke, aus der Liangs kindliche Stimme drang.
»Ich kann helfen?« fragte sie.
»Ja. Erinnerst du dich noch an Loo Fei-tung?«
»Loo?« Liang dachte kurz nach. »O ja, Dr. Mei. Er war ein Freund von Mei-tien. Seine Schwester verkauft Gemüse und Obst. Loo Fei-tung war plötzlich weg.«
»Das stimmt. Du hast nichts von ihm gehört?«
»Nichts.«
»Und Li Han-hing?«
»Oh, sie ist tot.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe gehört, wie ein Stammgast von Mrs. Yo gesagt hat: Herr Tschao ist sehr zufrieden mit Lis Tod. Sie starb ganz nach Plan …«
Dr. Mei seufzte und lehnte sich gegen Dr. Merker. »Wir haben es, Fritz«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wir haben einen direkten Weg zur Rache.«
11
Am Morgen erschienen die Zeitungen von Hongkong und Kowloon mit dem Bild von Ting und Dr. Merker in herzlicher Umarmung und mit dem unklaren, aber zu allerlei Spekulationen anreizenden Text.
Einige Redaktionen hatten mehr wissen wollen, vor allem, um welche Hilfe es sich handelt. Ting Tse-tung blieb hart. »Kein Kommentar«, sagte er abweisend. »Es genügt vollauf, was wir da bekanntgegeben haben. Seid froh, daß überhaupt diese Information herausgekommen ist.«
»Wie kann ein deutscher Arzt der Kowlooner Polizei helfen?«
»Das ist etwas für Ihre Phantasie.« Ting legte auf.
Das Foto wurde kaum beachtet. Millionen Leser überflogen es und blätterten weiter. Eine lokale Angelegenheit, nichts Sensationelles.
Der ehrenwerte Herr Tschao dachte da anders. Vor ihm lagen neun Zeitungen mit dem gleichen Bild und dem gleichen Text. Vier von den neun Chefredakteuren oder Herausgebern waren ihm verpflichtet. Er rief sie der Reihe nach an und verlangte genaue Informationen. Und überall hörte er die gleiche Antwort: Ting Tse-tung verweigert weitere Auskünfte. Auch sein Mittelsmann im Gouvernement wußte nichts, seine Spitzel im Queen Elizabeth Hospital konnten nur erzählen, daß Dr. Merker fast 48 Stunden lang die Speziallabors unter Polizeiaufsicht blockiert hatte. Was hinter den Türen geschehen war – keine Ahnung.
»Man muß es feststellen«, sagte Herr Tschao streng. »Wofür bezahle ich Sie? Nichts auf dieser Welt hat keine Lücke … suchen Sie diese Lücke! Wenn Tings Gesicht wie ein feuriger Drache glänzt, hat das seinen Grund! Ich will von Ihnen etwas erfahren – dazu sind Sie da!«
Auch Dr. Wang An-tse las die Zeitungen. Er war noch immer tief beleidigt von der Behandlung, die ihm Ting hatte zuteil werden lassen. Mit Dr. Merker hatte er auch am nächsten Tag nicht sprechen können, die Polizei ließ keinen an ihn heran. Nun dieses Umarmungsbild … es konnte nichts anderes bedeuten, als daß Dr. Merker einen großen Schritt vorwärtsgekommen war. Seine Hirnuntersuchungen mußten erfolgreich gewesen sein. Das bedeutete, daß er – Dr. Wang An-tse, der Spezialist – von einem Deutschen blamiert
Weitere Kostenlose Bücher