Der Dschunken Doktor
bist. Die Patienten lassen doch ihren Dschunkendoktor nicht ins Wasser fallen!«
»Es ist unmöglich bei dem Gedanken, Yang könne etwas zugestoßen sein, ruhig zu bleiben!« schrie Dr. Merker.
»Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Fritz.«
»An was?«
»Daß Yangs Uhr anders läuft als deine. Sie ist eine Orchidee, die man pflegen muß, aber sie ist auch wie ein freigeborenes Tier, das man nicht einsperren kann.«
»Ist es wenigstens erlaubt, zu ihrer Wohndschunke zu rudern?«
»Nur, wenn sie es zuläßt.«
Dr. Merker mußte kapitulieren. Er saß später oben an Deck hinter den verrotteten Aufbauten und starrte über die Dschunkenstadt. Die wartenden Patienten hatten sich zum Mittagessen eingerichtet. Sie kochten über Gasfeuern ihren Reis oder ihre Nudelsuppe, ihre Frauen oder Kinder brachten geschnetzeltes Hühnerfleisch, Obst und Gemüse. Alles war eine große Familie, alles fühlte sich trotz der Krankheiten wohl im Blickfeld des neuen Doktors Wei Kang-teh, der zwar eine Langnase war, aber der jetzt zu ihnen gehörte.
Plötzlich war Yang an Bord. Merker hatte sie nicht kommen sehen, sie stand hinter ihm, umarmte und küßte ihn. Sein Herz schlug wild, er schlang die Arme um sie und preßte sie an sich.
»Endlich!« sagte er mit unsicherer Stimme. »Endlich! Wo warst du so lange …«
»Bei Ting Tse-tung.«
»Hat er dich erwischt?«
»Während der Show wurde neben mir der Gitarrist erschossen.« Dr. Merker fuhr entsetzt auf. »Du lieber Himmel! Man hätte auch dich treffen können!«
»So war's wohl geplant. Der Schuß galt mir. Ich drehte mich beim Singen nur gerade weg, und es traf den unschuldigen Jungen.«
Dr. Merker lief zur Treppe und brüllte hinunter:
»Mei! Mei! Auf Yang ist geschossen worden! Mei!«
»Welch ein Geschrei!« Dr. Mei wuchtete sich die Treppe herauf. Er roch nach Alkohol. »Sie hat's mir schon erzählt! Darauf mußte ich einen trinken, ich bitte nachträglich um Genehmigung, aber Schrecken kann man nur mit einem guten Schluck neutralisieren. Ich habe da eine besondere chemische Reaktion in mir …«
»Mein Gott, laß die dummen Reden!« schrie Merker. »Man hat auf Yang geschossen! So weit ist man schon!«
»So weit war man schon immer! Das Postkarten-Hongkong ist nur für die Touristen. Ein Anzug in 24 Stunden, eine Syphilis in drei Minuten … das sind Hobby-Attraktionen. Den Kampf der Ratten sieht niemand, der im Mandarin oder im Peninsula wohnt.«
»Wer hat ein Interesse daran, daß Yang …«
»Genau das hat Ting auch gefragt. Es gibt keine Antwort.« Yang setzte sich neben Dr. Merker in den Schatten der Aufbauten. »Nur eine Erklärung wäre logisch, aber sie scheidet aus: Mein Tod sollte dich vernichten, Fritz! Aber es weiß ja keiner, daß du bei mir bist!«
»Nur Ting weiß es«, sagte Dr. Mei nachdenklich.
»Das ist ja absurd!« sagte Dr. Merker heiser.
»O Himmel, nicht Ting!« Mei hob beide Arme hoch in die Luft. »Aber auch bei der Polizei lauschen überall Ohren und auch Polizisten sind nur Menschen und damit käuflich! Es kommt immer auf die Summe an. Wenn amerikanische Senatoren Verbindung zur Mafia haben, warum nicht ein unterbezahlter, armer chinesischer Polizist?! Es könnte möglich sein, daß jemand weiß oder ahnt, wo du bist! Dann ist es natürlich, daß man zuerst Yang bedroht.«
»Natürlich!« Dr. Merker legte den Arm um Yangs Schulter. »Wir werden sofort Hongkong verlassen und nach Hamburg gehen.«
»Nein!« sagte Yang fest.
»Man kann Ratten nicht bekämpfen, indem man wegläuft!« sagte Dr. Mei ernst. »Wir wissen jedenfalls jetzt, wie ernst die Lage ist! Darauf können wir uns einstellen.«
»Du darfst nicht mehr an Land, Liebling«, sagte Yang.
»Genau das versuche ich ihm beizubringen!« rief Dr. Mei. »Der sicherste Platz auf der Welt ist für ihn hier in der Dschunkenstadt unter seinen Patienten.«
»Und gerade hier gibt es genug arme Teufel, die für tausend Dollar alles tun … auch mich umbringen!«
»Nicht ihren Doktor, Fritz!«
»Darauf möchte ich kein Haus bauen.«
»Du wirst nie allein sein. Immer werden zahllose Augen dich beschützen. Was hätte der Täter von seinen tausend Dollar, wenn man ihn sofort an einen Mast bindet und ihm die Haut abzieht?!«
»Ling wird heute deine Sachen aus dem Hospital holen«, sagte Yang. »Er ist der einzige, dem es gelingen wird, keine Spuren zu hinterlassen.«
»Du wirst ein Wasserchinese werden, da ist nichts mehr zu ändern.« Dr. Mei grinste breit. »Ein Teil meines ruhigen
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