Der Dschunken Doktor
McLindlay.
»Bedauere, Sir. Das Ziel des Anschlages gehört heute der Polizei.«
»Ich habe einen gepanzerten Wagen.«
»Gewiß, aber für die Ermittlungen brauche ich Miß Yang noch.« Er verbeugte sich vor McLindlay, faßte Yang unter und ging mit ihr in den kleinen Salon, der als Künstlergarderobe diente. Dort flüsterte er ihr zu: »Machen Sie schnell, Yang. Sie müssen hier weg!«
»Ich muß mich ganz umziehen, Ting.«
»Ich drehe mich zur Wand, bis Sie ›fertig‹ sagen.«
Nach einer halben Stunde – das Abschminken dauerte so lange – kamen sie aus dem Salon heraus. McLindlay saß in der Riesenhalle in einem Sessel und trank Wodka mit Lemon. Als er Yang sah, sprang er auf.
»Wir müssen uns morgen sehen«, sagte er. »Bitte, schlagen Sie es nicht ab.«
Sie lächelte spöttisch und hob die schmalen Schultern. »Das bestimmt der Herr Kommissar.«
»Er hat Sie doch nicht verhaftet, Yang?!« McLindlay starrte Ting wütend an. »Das wäre ja der Gipfel! Ich zahle jede Kaution, Mr. Ting! Jede! Mein Gott, wohin verirrt sich die Polizei?«
»Ich werde Sie anrufen, wenn ich kann«, sagte Yang und warf ihren herrlichen weißen Nerzmantel um die Schultern. »Es war ein schöner Abend, Sir. Das vereinbarte Honorar schicken Sie bitte an Mr. Tsching.«
Sie nickte McLindlay zu und verließ das Haus. Ting folgte ihr. Die noch verbliebenen Beamten der Mordkommission warteten draußen vor dem Eingang.
McLindlay blickte ihnen nach und wußte, daß Yang nie anrufen würde. Er schlug die Fäuste gegeneinander, und sein Gesicht wurde kantig, als Betty in die Halle kam.
»Hast du nicht eine kleine Pistole?« fragte er rauh.
»Ja. Sie liegt oben im Schlafzimmer.« Betty Harpers schüttelte den Kopf. »Du kannst daran riechen – aus ihr ist nicht geschossen worden. Ich habe mich schon darum gekümmert.«
Sie wartete, bis Yang und Ting in einen geschlossenen Polizei-Jeep gestiegen waren. »Wenn du einen Augenblick gedacht hast, ich sei es gewesen … mein Schatz, soviel Dummheit darfst du von mir nicht erwarten. Obwohl ich mich gefreut hätte, wenn Yang getroffen worden wäre!«
McLindlay ließ sie stehen und stampfte in sein Arbeitszimmer.
Im Jeep, sie fuhren die Hügelstraße hinunter nach Kowloon, blickte Ting kurz zur Seite. Yangs unbeschreibliches Gesicht war wie kühles Porzellan.
»Wo ist Doktol Melkel?« fragte er. »Yang, er war nicht bei McLindlay.«
»Ich weiß es, Ting.«
»Ich mache mir Sorgen.«
»Er ist bei mir.«
»Gut. Aber da kann er auf Dauer nicht bleiben!«
»Warum nicht?«
»Wollen Sie ihn heiraten?«
»Ich liebe ihn.«
»Er hat große Aufgaben zu erfüllen.«
»Das weiß ich. Er ist dabei, sie zu erfüllen.«
»Yang … ich brauche ihn! Warum blockieren Sie ihn?«
»Ich habe Angst um ihn. Eine Frau, die liebt, hat immer Angst.«
»Darüber reden wir noch. Wohin darf ich Sie bringen?«
»Zu Tsching in den ›Drachen von Canton‹.«
Ting Tse-tung nickte. Und von dort wird sie verschwinden, und keinem ist es bisher gelungen, ihren Weg zu entdecken, dachte er. Wie ohnmächtig sind wir in dieser schönen, verteufelten Stadt. In dieser verfluchten Stadt, die uns alle aufgefressen hat.
Die Sprechstunde an diesem Vormittag war eine Qual. Es dürfte eigentlich nicht sein, aber Dr. Merker war auch nur ein Mensch: die Patienten wurden in Eiluntersuchungen durchgeschleust. Merker konnte sich einfach nicht konzentrieren. Ihn peinigte die Frage, warum Yang nach der Nacht bei McLindlay noch nicht zurückgekommen war. Es gab dafür keine Erklärung. Auch Dr. Mei hatte keine zu bieten.
Seine Erklärung, daß man solch eine Feier ja bis in den frühen Morgen ausdehnen könne und Yang einfach nicht weggekommen sei, wirkte lahm. Sie wußten beide, daß Yang nur ihren Auftritt in der Show absolvieren wollte, um dann sofort wieder McLindlays Haus zu verlassen. Vor allem wollte sie Ting Tse-tung nicht in die Hände laufen, der wie ein Wolf vor dem Schloß lauern würde, um sie nach Merker zu befragen.
Gegen Mittag wurde Dr. Merker so unruhig, daß Dr. Mei sagte: »Wir hören mit der Sprechstunde auf. Einen Husten diagnostizierst du schon als Darmsausen. Trink einen Kognak und geh an die frische Luft! Eins darfst du auf keinen Fall: an Land gehen!«
»Genau das werde ich!«
»Es wird dich niemand hinüberrudern.«
»Zum Teufel, dann schwimme ich!«
»Es hat hier schon Haie gegeben … bei dem vielen Abfall! Außerdem wird dich sofort jeder rausfischen, wenn du knapp zwei Meter geschwommen
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