Der Dschunken Doktor
befriedigen.
Bald darauf erschien wie immer Liang Tschangmao mit ihrem umgeschnallten Blumenkorb und ging trotz ihrer Blindheit mit erstaunlicher Sicherheit durch die Tischreihen und dann hinauf in die Zimmer. Bevor sie die Treppe betreten durfte, zählte Madame Yo die Blumensträuße im Korb … wegen der zehn Prozent Beteiligung.
Du verfluchte Hurenhexe, dachte Dr. Mei und trank sein Glas halb leer. Wie soll man dir das Fell gerben?! An einer Blinden noch verdienen!
Er winkte Meling, bestellte das zweite Glas und beobachtete mit Genuß, wie andere Kunden sich mit dem Fotoalbum beschäftigten und – nach anstrengender Wahl und öfterem Hin-und-her-Blättern ihre Mädchenbestellung aufgaben. Ab und zu ließ ein Kunde auch das ausgewählte Hürchen herunterkommen … das waren die ganz Vorsichtigen, die selbst einem Farbfoto mißtrauten und vorher sehen wollten, wofür sie gute Dollars hinblättern sollten. Dann erschienen die Mädchen auf der Treppe, drehten sich nach allen Seiten und stellten sich dar, so, als gäbe es noch einen Sklavenmarkt. Etwas anderes war es ja auch nicht … eine Sklavin auf Zeit.
Erstaunlicherweise, das hatte Mei schon am ersten Abend festgestellt, waren die Kunden von Madame Yo ausnahmslos Chinesen. Nicht ein Europäer kam in das Haus, es schien nicht in den ›Informationen‹ aufgeführt zu sein, die man als Tourist in jedem Hotel und von jedem Taxifahrer bekommt. Madame Yos Haus war reserviert für die reichen Chinesen, die ihre Mädchen à la carte aussuchten wie eine raffiniert zusammengestellte Speisenfolge. Ein Diner l'amour … auch hier konnte man von asiatischer Lebensart etwas lernen.
Dr. Mei wartete, bis Liang zurückkam, die zehn Prozent bei Madame Yo abgeliefert hatte und an seinem Tisch vorbeitrippelte. Er räusperte sich, und Ling schüttelte wieder leicht den Kopf.
Gegen zwei Uhr morgens, Mei war nach dem ›zarten Zeug‹ wieder bei Whisky gelandet, kam ein zweiter Gästeschub. Die Bar und das Restaurant waren gefüllt, die Tür wurde geschlossen. Ein Gast bei Madame Yo hat ein Anrecht auf individuelle Bedienung. Hier gab es keine Fließbandarbeit, sondern eine echte Betreuung.
Als Liang diesmal aus dem Zimmer zurückkam, nickte sie leicht. Durch Dr. Mei fuhr es wie ein elektrischer Strom. Er zahlte, wartete noch fünf Minuten und stand dann auf der Straße. Liang wartete auf ihn am Hafen. Sie saß neben ihrem Blumenstand und füllte den Tragkorb auf.
Mei holte deutlich eine Dollarnote heraus, betrachtete die Blumen und beugte sich über sie, um an ihnen zu riechen.
»Du hast einen erkannt?« flüsterte er.
»Ich weiß es nicht. Ich bin nicht ganz sicher.«
»In welchem Zimmer?«
»In Zimmer 11. Er ließ sich gerade von Canny streicheln und erzählte dabei von seinen Sorgen beim Transport von hauchdünnen Papierfächern. Er kaufte mir einen Strauß Rosen ab und sagte dabei: ›Wenn du nicht blind wärst, könntest du mitmachen!‹ Das war es. So etwas habe ich schon mal gehört, von dieser Stimme. Und die erzählte damals von dem ›Hauch des Himmels‹.«
»Rauschgift!« sagte Dr. Mei heiser.
»Ja. Aber ich kann mich in der Stimme irren! Ich weiß es nicht genau. Canny streichelte so gut … sie war etwas außer Atem, die Stimme …«
»Wie könnte er aussehen, Liang? Wie stellst du ihn dir vor?«
»Mittelgroß, kräftig. Er muß etwas älter sein, aber nicht zu alt. Er sagte auch zu Canny: ›Ist dir aufgefallen, daß ich links eine weiße Strähne bekomme? Soll ich sie färben lassen? Sehe ich dadurch älter aus?‹ Und Canny antwortete: ›Laß sie ruhig. Ich mag solche Männer. Sie sind wie reife Früchte.‹«
»Links eine weiße Strähne!« Dr. Mei schüttelte den Kopf, als habe er keine ihm zusagende Blume gefunden und steckte die Dollarnote wieder ein. Doch dabei flüsterte er: »Das war eine wertvolle Information, Liang. Sehr wertvoll. Ich gehe jetzt nochmals zu Yos Puff zurück. Wünsch mir Glück, daß ich die weiße Strähne erkenne.«
Dr. Mei hatte große Mühe, wieder bei Madame Yo eingelassen zu werden. Aber sein Protest half. Er bezog wieder seinen Platz in der Ecke, winkte der thronenden Madame Yo vertraut zu und wartete dann vor einer Flasche Whisky.
Ein Mann mit einer weißen Strähne, der vom ›Hauch des Himmels‹ sprach … war das der Anfang eines Weges?
13
Dr. Merker erfuhr nie, auf welch tödliche Weise seine Koffer vom Queen Elizabeth Hospital zu ihm gekommen waren. Ling lieferte sie mit einer tiefen Verbeugung ab, sprach
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