Der Dude und sein Zen Meister: Das Leben, die Liebe und wie man immer locker bleibt (German Edition)
Anfertigen von Karten des Lagers erwischt, die zum polnischen Widerstand hinausgeschmuggelt werden sollten. Er wurde zum Tode verurteilt, und zwar durch Erschießen an der Exekutionsmauer. Die Nazis waren allerdings bekannt für ihre bürokratische Effizienz; die Formulare mussten ordentlich unterschrieben und abgestempelt sein, ehe die Strafen vollzogen wurden. Wie sich herausstellte, arbeitete der jüdische Häftling, mit dem Marian seine Suppe geteilt hatte, als Registrator in ebendem zuständigen Büro, und als er das Schriftstück entdeckte, das Marians Todesurteil genehmigte und der Unterschrift harrte, schob er es einfach unter den Stapel. Er tat dies immer wieder, bis er schließlich auf den Totenschein eines Verstorbenen stieß und den ganzen Papierkram so arrangierte, dass Marian den Namen des Toten erhielt und der Erschießung entging. Marian Kolodziej hatte der Verstorbene geheißen, und diesen Namen behielt Marian auch nach seiner Befreiung aus Auschwitz bei. Später sagte er, er selber sei dort gestorben und allein Marian Kolodziej habe das Lager überlebt.
Nach dem Krieg wurde er einer der führenden Bühnenbildner Polens, und fünfzig Jahre lang erzählte er niemanden, dass er in Auschwitz gewesen war. Dann aber erlitt er mit Anfang siebzig einen heftigen Schlaganfall, an dem er beinahe gestorben wäre. Als er sich allmählich wieder zu erholen begann, bat er seine Frau, ihm hinunterzuhelfen auf den Fußboden des Krankenhauszimmers und ihm ein Blatt weißes Papier zu bringen. Als er zu zeichnen begann, hielt sie ihm den Stift in den Fingern, und was er zeichnete, waren seine Erinnerungen und Eindrücke von der Zeit in Auschwitz. Als er wieder vollständig genesen war, kehrte er zurück ins Lager, hielt sich sechs Monate auf dem KZ-Gelände auf und legte Zeugnis ab.
JEFF: Er hatte seiner Frau nie erzählt, dass er dort gewesen war?
BERNIE: Nie. Er begann mit kleinen Skizzen, und seine Frau half ihm, den Stift zu halten, als er selbst noch zu schwach dazu war. Dann fügte er diese Skizzen zu Wandgemälden zusammen. Diese Wandgemälde sind gigantisch und bedecken nun die gewaltigen Kellerwände eines großen Franziskanerklosters direkt außerhalb von Oświêcim, dem Ort der Lager. Sie lassen den Keller wie eine Baracke erscheinen. Einige der Wandbilder zeigen Hunderte von Häftlingen, Skelette mit riesigen Köpfen und Augen, zusammen mit entsetzlichen Darstellungen von Totenköpfen und Ungeheuern mit Reißzähnen und Klauen. Die ganze Ausstellung, die riesig ist, nennt sich Das Labyrinth . Wenn du es durchwanderst, hast du das Gefühl, als würdest durch die alten Lagerbaracken streifen, die immer noch von den Häftlingen bewohnt sind – und umgeben von Terror und Leid.
Bei all unserem Auschwitz-Retreats haben wir Leute dorthin gebracht, um diese Bilder zu sehen. Marian war schon alt und lebte weit weg in Gdańsk, doch er kam immer, besuchte unser Retreat und unterhielt sich mit uns. Wir saßen stets am alten Selektionsplatz neben den Gleisen, eine ziemliche Gehstrecke vom Haupttor entfernt, und auf seinen Stock gestützt und mit Hilfe seiner Frau legte er langsam den Weg zurück. Es war ihm unheimlich wichtig, dass wir dort Zeugnis ablegten, und Hunderte von Teilnehmern aus verschiedenen Ländern, junge wie alte, fühlten sich im Laufe der Jahre tief mit ihm verbunden.
Immer wieder aber berührte es mich zutiefst, dass er keinen Zorn hegte. Stell dir diesen Keller vor, der wie eine Baracke wirkt, überall ringsum die erschreckenden Wandbilder, und die restlichen Retreat-Leute in fassungslosem Schweigen – und er zürnt niemandem.
Allerdings empfand er so etwas wie Scham. Eve fragte ihn einmal danach, und er erzählte ihr: »Wann immer es Fluchtversuche gab, ließen die Nazis alle Häftlinge dafür büßen. Einmal ist einer entkommen, und sie befahlen uns, eine große Rundbahn entlangzulaufen und nicht eher stehenzubleiben, bis sie ihn wieder gefangen hatten. Als sie ihn mehrere Stunden später schließlich wieder einfingen, waren mehr als dreihundert Leute tot, gestürzt und zu Tode getrampelt von jenen von uns, die über sie hinweggerannt waren. Wie sollte man da keine Scham empfinden?« Er war Teil einer Menschheit, die sich selbst diese Dinge antat. Doch er hegte keinen Zorn; er war voller Liebe.
JEFF: Warum glaubst du, dass das so war?
BERNIE: Weil er von der ganzen Sache Zeugnis abgelegt hat, einschließlich der Nazi-Anteile in ihm selbst. Er akzeptierte, dass
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