Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
sehen, so nah standen sie an der Südmauer. Der Platz war größtenteils unbeleuchtet, und sofern kein Alarm gegeben wurde, patrouillierten auch keine Wachen auf der Mauer. Die letzten Angriffe der Barbaren auf Graumark lagen immerhin über dreihundert Jahre zurück, und mittlerweile hatte sich eine gewisse Gelassenheit den anderen Ländern gegenüber breitgemacht. Außerdem brachte man alle Stadtwachen in den Norden der Stadt, um die Unruhen dort niederzuschlagen.
Dorn war erstaunt, wie geräuschlos sich die Rebellen bewegten, als sie den Marktplatz betraten. Hier und da war ein leises Schlurfen zu hören oder das Geflüster zweier Männer. Schnell begriff er jedoch, dass es kein besonderes Talent war, leise zu sein, wenn man so gut wie keine Ausrüstung besaß und an den Füßen nur weiche Lederschuhe trug.
Narik führte die Männer immer noch an. Keiner wagte es, an ihm vorbeizueilen, um sich die besten Stücke aus den Wagen derHändler unter den Nagel zu reißen. Das war der Unterschied zwischen fanatischen Rebellen und Söldnern. Letztere waren nur loyal, solange sie es sich leisten konnten, und für eine gute Ausrüstung hätten sie sogar getötet.
Aus dem Halbdunkel lösten sich die Gestalten von vier Männern, oder besser gesagt von dreieinhalb, denn drei von ihnen waren große stämmige Kerle, der vierte ein Halbling. Sie kamen den Rebellen ein Stück entgegen. Einer von Nariks Begleitern flüsterte seinem blinden Mentor etwas ins Ohr, und Narik hob die Hand zum Gruß.
»Es ist gut, dass du so schnell zurückgekommen bist, Rough«, verkündete er halblaut. »Und wie ich höre, habt ihr Waffen und Ausrüstung ergattern können. Das ist noch besser, denn ohne sie können wir uns nur in Kellern verschanzen wie Ratten. Deine Männer sollen alles an meine Mitstreiter verteilen. Ich habe vor, noch heute Nacht unser Recht einzufordern.«
Rough kam näher und legte Narik die Hand auf die Schulter.
»Sie haben Ningoth umgebracht«, sagte er. »Meine Männer und ich, wir wollen nicht nur Recht. Wir wollen auch Rache.«
»Ich habe von eurem Verlust gehört. Meine Trauer ist mit dir, und wir werden alles daransetzen, die Schuldigen zu finden.«
»Ich will nicht nur die, die es getan haben. Ich will alle von ihnen.«
»Du wirst sie bekommen«, versuchte Narik, ihn zu beruhigen. »Aber lass uns zuerst über etwas anderes reden. Der Kundschafter hat berichtet, du seiest in Begleitung eines Halblings, der das Symbol der Rebellen trägt.«
Der Halbling riss sich aus dem Griff seines Begleiters los und stürzte nach vorn. »Er hat weder Ausrüstung und Waffen ergattern können, noch bin ich sein Begleiter«, schimpfte der kleine Kerl los. »Er hat diese Händler beraubt und sie und mich als Gefangene genommen.«
Dorn sah, wie Narik versuchte, den Ursprung der Stimme zu orten, lag aber fast einen Kopf zu hoch.
»Und du bist?«, fragte er mit sanfter Stimme.
»Mein Name ist Milo Blaubeers«, antwortete der Halbling, »und ich komme aus Eichenblattstadt. Ich habe mit eurem Aufstand in Zargenfels nichts zu tun. Der einzige Grund, warum ich in diese Stadt wollte, ist, weil der letzte Wille unseres Dorfpriesters Meister Gindawell lautete, dass ich hier nach etwas suche.«
Narik griff zur Seite, packte seinen Begleiter an der Jacke und zog ihn zu sich heran. Dann verpasste er ihm eine schallende Ohrfeige.
»Wenn du nicht meine Augen bist, wofür bist du dann gut, du Stümper?«, keifte er den Mann an. »Oder habe ich in deinem Geflüstere irgendwie das Wort ›Halbling‹ überhört?«
»Nein, Gelehrter«, sagte der Mann. »Entschuldigt meinen Fehler.«
Narik stieß seinen Zuflüsterer von sich und wandte sich wieder dem Halbling zu. »Und jetzt wieder zu dir, mein kleiner Mann. Zeige mir den Ring, den du bei dir trägst. Ich möchte ihn anfassen.«
»Und was ist, wenn ich nicht will? Es ist schließlich mein Ring«, erwiderte Milo trotzig.
Narik grinste. »Du kannst es dir aussuchen, kleiner Milo. Weißt du, was die Leichenfledderer machen, wenn sie einen Ring nicht vom Finger ziehen können?«
Dorn sah, dass der Halbling mit sich rang. Doch dann streckte er zögerlich die Hand aus und präsentierte den Ring. Gleich darauf schien ihm bewusst zu werden, dass Narik die Geste nicht sehen konnte, zog den Ring vom Finger und übergab dem Rebellenführer das Schmuckstück.
Der blinde Mann betastete den Ring von allen Seiten und ließ seine Finger über jede Kante streichen.
»Keinerlei Inschriften«, stellte er
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