Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Rücksicht auf Verluste mit Anlauf auf das Seil gesprungen war. Sein Sturz wurde von einem Gespinst aus Wäscheleinen und einem voll besetzten Hühnerhaus gebremst. Dummerweise befand sich beides auf dem Grundstück von Nubert Furtfuß.
Der entstandene Schaden wäre noch zu überblicken und sicherlich mit ein paar Entschuldigungen und zwei Tagen Arbeitsaufwand zu richten gewesen, hätte es nicht diese innige Feindschaft zwischen Bonne und dem Haushund gegeben. Der Köter schien regelrecht darauf gewartet zu haben, dass der junge Halbling über seinem Revier scheiterte. Kaum war Bonne in einer Wolke aus Federn, Staub und Holzsplittern versunken, kam das Vieh bellend und Geifer spritzend um die Ecke geprescht. Bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, verhedderte Bonne sich in der Wäscheleine. Ungeachtet dieses tückischen Gespinstes, rannte er quer durch die Rabatten und Blumenbeete, dicht gefolgt von dem Vierbeiner. Immer wieder schnitt ihm der Hund den Weg zum rettenden Zaun ab, und so legte Bonne zwei ganze Runden um das Hauszurück, bis ihm endlich der finale Sprung über die Gartenpforte gelang. In der Wut, seine Beute nicht erwischt zu haben, ließ der Hund seinen Frust an dem wild umherflatternden Federvieh aus. Wie die zwei letzten Überlebenden einer großen Schlacht standen Bonne und Milo wie gelähmt vor dem Feld der Ehre und richteten ihren Blick auf geköpfte Blumen, zertrampelte Aussaaten, eine Hühnerburgruine und dahingeschlachtetes Federvieh, während ein vierbeiniger Dämon versuchte, seinen Blutrausch zu stillen.
Die beiden ließen sich noch vor Ort von Nubert Furtfuß zur Rede stellen. Leugnen hätte wenig Zweck gehabt, denn das Chaos trug eindeutig ihre Handschrift. Herr Furtfuß ließ es sich natürlich nicht nehmen, die beiden an den Ohren quer durchs Dorf zu ihrem Vater zu zerren. Gunder Blaubeers wiederum ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, ein Exempel an ihnen zu statuieren – besser gesagt, an einem von ihnen.
Milo und sein Vater waren in letzter Zeit oft aneinandergeraten. Wann immer es passte, oder eben auch nicht, wies Gunder seinen Sohn darauf hin, dass er mittlerweile ein Boggar war. Boggars, so nannte man die herangereiften Halblinge, die ins heiratsfähige Alter gekommen waren, und von denen man jetzt erwartete, dass sie sich einem Broterwerb widmeten und den Rest der Zeit damit verbrachten, nach einer passenden Braut Ausschau zu halten. Wie es dann weiterzugehen hatte, lag auf der Hand: Man heiratete, baute ein eigenes Haus, versuchte nach und nach, die leer stehenden Zimmer mit Nachwuchs zu füllen, und wartete gemächlich auf den Zeitpunkt, an dem man seine Zöglinge endlich dazu auffordern konnte, auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen.
Milo konnte dem Ganzen, zum Leidwesen seines Vaters, so rein gar nichts abgewinnen. Er genoss lieber seine Freiheit und versuchte, die Schlinge eines Familienlebens so lange wie möglich von seinem Hals fernzuhalten. Er träumte von großen Abenteuern in fernen Ländern, sagenumwobenen Schätzen in den Tiefen der Erde und einem Heldendasein. Solange er das alles nicht haben konnte, war er unter Umständen auch bereit, sich mit dem Zerlegen eines Hühnerstalls, dem Zertrampeln von Beeten und dem Ärgern von Nubert Furtfuß’ Hofhund zufriedenzugeben. Leider winkten hierbei keine Truhen voller Gold, sondern lediglich eine Standpauke seines Vaters und ein Adeptenplatz bei Meister Gindawell, dem Dorfkleriker.
»Milo, wach auf, du träumst schon wieder!«
Die energische Stimme riss den jungen Halblingsadepten aus seinen Gedanken. Er ertappte sich dabei, wie in Trance mit dem Finger die Umrisse der alten Eiche durch das beschlagene Fenster nachzuzeichnen. Milo antwortete nicht sofort, sondern sah erst einmal zu, wie sich das Kondenswasser in den Biegungen seiner Zeichnung sammelte und sich dann verselbstständigte. Die Tropfen sahen aus wie Blätter, die im Herbst zu Boden fielen.
»Ein lebendiges Bild«, flüsterte er.
»Milo?«
»Ja, Meister Gindawell, ich bin da. Ich habe nicht geträumt. Ich habe nachgedacht«, rechtfertigte er sich.
Mit einer übertrieben beeindruckten Miene nickte der alte Halblingskleriker seinem neuen Schüler zu.
»Das ist fantastisch. Du solltest diese Gabe auf jeden Fall weiter verfeinern. Irgendwann wirst du so weit sein und die Probleme der Welt gelöst haben, wenn du morgens aufwachst.«
Milo wusste, wie er mit solchen Anmerkungen seines Lehrmeisters umzugehen hatte: Er durfte auf keinen Fall
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