Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
in keinem zeigte sich so etwas wie Entschlossenheit. Die Menschen taten das, was sie immer taten, wenn sie etwas nicht verstanden – sie fürchteten sich und waren wie gelähmt vor Angst.
Grüne Flammen krochen aus dem Boden, wo die Bretter geborsten waren, und breiteten sich kreisförmig um den Reisenden herum aus. Erst waren sie klein und dunkelgrün, doch je mehr Nahrung sie fanden, desto heller erstrahlten sie, wurden größer und liefen in orangenen, roten und gelben Spitzen aus. Ein weiterer Feuerkranz löste sich aus dem Krater, und gleich darauf noch einer. Sie breiteten sich aus wie Wellen auf einem Teich, in den man einen Stein geworfen hatte.
Als der Ring aus Feuer die ersten Tische erreichte, begannen die meisten Gäste von ihren Plätzen aufzuspringen und schreiend zurückzuweichen. Nur der Händler blieb wie gelähmt sitzen, scheinbar hoffend, sich vor den Flammen retten zu können, indem er die Beine anzog. Das magische Feuer entzündete jedoch sofort Stuhl und Tischbeine und kroch an ihnen empor. Als die Hosenbeine des Händlers in Flammen aufgingen, stieß er sich von der Tischkante ab, kam ins Wanken und stürzte rückwärts mit seinem Stuhl um. Unaufhaltsam fraßen sich die Flammen unter ihm hindurch und verzehrten Stoff, Haare und Haut gleichermaßen. Der Mann schaffte es nicht wieder zurück auf die Beine, sondern krümmtesich wie ein Wurm vor dem Sonnenlicht auf dem Boden, bis er lichterloh in Flammen stand und seine Schreie den Raum erfüllten.
Die Menschen im Schankraum hämmerten gegen die geschlossenen Fensterläden, kreischten, brüllten und versuchten, sich auf Stühle und Tische zu retten. Doch auch sie ereilte nach und nach das gleiche Schicksal wie den Händler. Qualm und Flammen erfüllten den Raum und machten das Atmen unmöglich. Lichterloh brannte das Mobiliar, und selbst die Wände fielen nach und nach den Flammen zum Opfer.
Die Schankstube glich einem Glutofen – nur der Platz, an dem der Reisende stand, blieb vollkommen von der Hitze verschont.
3. MILO
Aus der Luft betrachtet, glich Eichenblattstadt den großen Köhlerplätzen im Unkenwald. Wie vergessene Kohlenmeiler, die vom Gras überwuchert waren, die aber dennoch dünne Rauchfäden aus etlichen Schloten aus ihrem Inneren nach oben sandten, standen die kreisrunden oder ovalen Behausungen der Halblinge breit verteilt auf der einzigen großen Lichtung des Düsterkrallenwaldes.
Die mit viel Liebe angelegten Vorgärten, die akkurat ausgesäten Gemüsebeete und die mit zu beiden Seiten von Steinen begrenzten Wege ließen jedoch darauf schließen, dass sich im Inneren der Erdhügel etwas anderes befand als verkohlte Holzscheite.
Die Halblinge von Eichenblattstadt lebten ein idyllisches, aber wenig luxuriöses Leben. Es herrschte zwar keine Armut, aber Verschwendung und Überfluss fand man hier genauso wenig wie jemanden über vier Fuß Größe.
Abgesehen von persönlichen Besitztümern und Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs existierte in Eichenblattstadt alles nur ein Mal. Es gab eine Herberge, einen Schmied, einen Tempel, einmalig schlechtes Wetter und für Fremde einfach keinen Anreiz, hier leben zu wollen. Seit Jahren hatte kein Halbling von außerhalb mehr den geistigen Freitod gewählt und war hierhergezogen. Am Haus von Bürgermeister Butterblums war der offizielle Ort für Bekanntmachungen. Dort vermerkte man unter anderem auch die Einwohnerzahl von Eichenblattstadt. Das leicht vergilbte Stück Pergament verkündet mit traurigem Stolz die Zahl dreihundertdreiundzwanzig.
Diese Stadt wäre für viele deprimierend langweilig gewesen. Fernab von allen Handelsstraßen und großen Städten hätte man vermuten können, der gesamte Sprachschatz der Bürger würde innerhalb von hundert Zyklen auf das alltägliche »Auf GottesWegen« als Begrüßung und Abschiedsformel zusammenschrumpfen, da man sich nichts mehr zu erzählen hatte. Doch es waren Halblinge, die hier lebten, und wo sie waren, gab es auch immer Gesprächsstoff. Sie machten sich nicht viel aus den Gerüchten von Königshöfen, und auch die Erschließung neuer Handelsrouten interessierte sie herzlich wenig. Stattdessen konnten sie sich stundenlang über den richtigen Platz für Tomaten unterhalten, ob sie nun an der Süd- oder Westseite des Hauses günstiger standen. Sie debattierten darüber, ob es besser war, die abgesammelten Kartoffelkäfer von ihrer Ernte den Hühnern zum Fraß vorzuwerfen oder sie in einem Kohlebecken zu verbrennen.
Dieses
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