Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
beträchtliche Summe Goldes von ihrem Vater geerbt und verbrachte nun die Zeit damit, das Geschäft durch Inkompetenz und Unfreundlichkeit zu verstümmeln.
»Na, die anderen sind sich wohl zu fein, um durch den Regen zu laufen«, höhnte sie nach einem Blick aus dem Fenster. »Stehen unter dem Vordach beim Eichenkrug wie frisch getretene Hühner.«
Bürgermeister Butterblums trat ein. Er gab Milo die Hand, sah aber dabei interessiert aus dem Fenster und murmelte beiläufig: »Da spricht der reine Neid. Na, mein Junge, wie geht es dir?«
Butterblums wartete die Antwort nicht ab, die Milo auch nicht gewollt war, jemandem zu geben, der durch ihn hindurchsah. In gekrümmter Haltung, durch die beschlagenen Butzenscheibe spekulierend, schlich er zu seinem Platz. Erst als er sich gesetzt hatte, begrüßte er Gindawell mit einem übermäßig würdevollen Kopfnicken.
»Was soll man von den Männern in Eichenblattstadt auch schon anderes erwarten«, spottete Frau Grünblatt. »Erst saufen sie sich Mut an und prahlen mit ihren Heldentaten, den zukünftigen und den vergangenen, doch dann können sie nicht loslegen, weil es draußen regnet.«
»So etwas aus deinem Munde zu hören schmerzt mich«, gestand Butterblums. »Schließlich bin ich auch ein Mann.«
Überrascht sah Vanilla Grünblatt den Bürgermeister an und musterte ihn. »Gewagte Behauptung«, stöhnte sie, verdrehte die Augen und rang sich ein mitleidiges Lächeln ab.
Als ob die Verhöhnung durch die Fenster, quer über die Straße und bis zum Eichenkrug gelangt war, sah Milo die zwei Männerim strömenden Regen die Straße überqueren. Er empfand die Art ihrer Bewegungen, die sie an den Tag legten, wenn sie durch die Stadt stolzierten, schon als äußerst belustigend, aber das war nichts gegen das Schauspiel, das sich ihm gerade bot. Die zwei Männer hatten sich ihre Umhänge über den Kopf geworfen, mit den Händen hielten sie ihre Hosenbeine fest in den Schritt gezogen. So tänzelten sie in gebückter Haltung über das nasse Pflaster der Straße und den morastigen Weg zum Ratssaal. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung und verwirbelte die Stoffe so miteinander, dass es unmöglich war, zu erkennen, wer sich darunter verbarg.
Laut pustend und schnaubend, betraten die beiden Neuankömmlinge den Sitzungssaal. Jeroll Butterblums, der Zwillingsbruder des Bürgermeisters und Wirt des Eichenkruges, glich seinem Bruder wie ein Haar dem anderen. Beide waren um die sechzig. Ihr graues Haar hätte ihnen etwas von Würde und Weisheit verleihen können, wenn es nicht so zerzaust in alle Richtungen abgestanden hätte. Ihre Haut war leicht fettig und ihr Händedruck feucht. Aber das unverkennbare Markenzeichen aller Butterblums, die die Ahnengalerie im Ratsgebäude zierten, war ihre übergroße Knollnase.
Hinter Jeroll trottete Tilmo Rindenstolz her. Er war ein Mann, der allein durch Geld und Einfluss in den Stadtrat gekommen war. Niemand wusste genau, woher er sein Vermögen hatte und woher er gekommen war, als er sich vor zehn Jahren ein Haus in Eichenblattstadt kaufte. Aber zwei Dinge standen fest: Er hatte seine besten Jahre schon hinter sich, und früher musste er wesentlich schlanker gewesen sein. Er war einer von diesen Halblingen, denen man ansah, dass Vermögen und Einfluss nicht nur ihr Ego aufgeblasen hatte, sondern auch ihren Körper. Wenn man genau hinsah, konnte man immer noch seine einst hageren Züge erkennen.
»Na, dann warten wir nur noch auf Meister Funkenregen«, sagte Bürgermeister Butterblums.
Funkenregen war natürlich nicht sein richtiger Name. Er hieß Joos Findlings und war der Dorfmagier. Ein Mann, dessen Alterniemand zu schätzen wagte. Er war selbst für einen Halbling klein und ausgesprochen hager. Wie es sich für einen Magier gehörte, trug er eine lange Robe und hatte schulterlanges, weißes Haar und einen Spitzbart.
»Niemand muss auf mich warten«, sagte Joos, der in diesem Moment wie aus dem Nichts neben Milo auftauchte.
»Ich hasse es nur, zu früh zu sein und meine Zeit mit freundlichen Phrasen und dem Ersinnen von respektlosen Spitznamen totzuschlagen.«
Das war natürlich nicht die ganze Wahrheit, denn eigentlich liebe er es, einen großen Auftritt hinzulegen, und dies war ihm wieder einmal gelungen. Sein Haar fiel ihm glatt auf den Rücken, die Robe schimmerte in dunklem Blau, und seine Füße waren blitzblank. Egal, wo er herkam, er hatte nicht einen Schritt durch den Sturm oder den Regen gemacht.
»Das ist gut«, sagte Meister
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