Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
musste in dem Gang sein, in dem er sich zu Anfang versteckt hatte. Das bedeutete, der Aufzugsschacht musste direkt vor ihm liegen. Er umklammerte das Buch, wegen dem er gekommen war, und kroch den Tunnel aus Holz und Papier weiter hinunter.
Milo konnte den Aufzug sehen. Im Hintergrund kreischte Blog voller Panik etwas von Wasser und Decken. Milo sprang auf und hechtete mit einem Satz in den rettenden Kasten. Noch bevor er den Schacht hinaufrufen konnte, dass Dorn ihn hochziehen sollte, hatte ihn der Bibliothekar entdeckt.
»Du entkommst mir nicht«, grollte er.
»Zieht mich hoch!«, schrie Milo in den Schacht hinein.
Der Bibliothekar stürmt auf den Aufzug zu. Seine Füße, die aussahen wie zwei große Findlinge, zermalmten alles unter sich. Milo konnte sich in dem engen Kasten kaum rühren, während Blog um die brennenden Bücher herumtanzte wie ein Kiebitz, dem man die Eier aus dem Nest gestohlen hatte.
Der Aufzug bewegte sich ruckartig nach oben, aber der Bibliothekar war bereits heran und griff nach dem Kasten. Er versuchte, ihn wieder herunterzuziehen. Milo trat mit seinen Füßen nach den Fingern aus Holz und Stein.
»Zieht mich hoch!«, schrie er flehend.
Dorn schien all seine Kräfte zu mobilisieren. Mit einem Krachen schoss der Aufzug nach oben. Die Bodenplatte des Kastens riss heraus, und Milo konnte sich nur halten, weil er sich mit Schultern und Knien gegen die Seitenwände presste.
Von unten hört er den Koloss wütend brüllen.
»Mach endlich das Feuer aus, und dann räum hier auf!«
26. NELF
Der süßliche Duft des Waldes wurde langsam schwächer, und an seine Stelle trat ein saurer, muffiger Geruch wie von Pfeifentabak, der feucht geworden war. Auch die hohen Tannen und die massigen Eichen, die das Herz des Waldes bildeten, waren hier nicht mehr zu finden, stattdessen standen überall Gruppen von windschiefen Birken.
»Na, was habe ich gesagt? Sie bringen uns ins Moor«, sagte Nelf zu seinem Bruder Tislo. »Scheint so, als ob du mir eine neue Kürbispfeife schuldest.«
Tislo drehte sich nur kurz um und warf Nelf einen genervten Blick zu. Zusammen mit rund vierzig anderen Gefangenen, die ebenfalls aus ihren Wagen gescheucht worden waren, gingen sie gefesselt den schmalen Waldpfad entlang. Das Seil, mit dem sie aneinandergebunden waren, führte vom Hintermann zwischen den Beinen des nächsten hindurch, dann war es mehrfach um die Handgelenke gewickelt, von wo es wiederum zum nächsten ging. Man musste höllisch aufpassen, um nicht zu stürzen, denn ansonsten zog man den Hinter- und Vordermann mit in den Dreck. Oder einem wurden selbst die Beine weggezogen, weil ein anderer fiel, und man kostete von dem Waldboden mehr, als einem lieb sein konnte. Wenn man jedoch wie Nelf und Tislo einen übergewichtigen, ewig feist grinsenden Kaufmann im Nacken hatte und einen gut gebauten Zwerg vor sich, dann blieb eigentlich nur die zweite Variante.
»Was du immer mit deinem Moor hast«, sagte Tislo. »Man könnte meinen, du hättest schlechte Kindheitserinnerungen daran. Außerdem kann ich dir keine Kürbispfeife beschaffen. Jedenfalls nicht in den nächsten Jahren.«
»Wenn ich so groß wäre wie ein Zaunpfahl, hätte ich auch Angst vor dem Moor«, verriet der Händler hinter Nelf.
»Ihr sollt die Schnauze halten und weiterlaufen!«, brüllte einer der Zwergenwächter, die neben den Gefangenen herliefen. »Ansonsten werde ich euch die Mäuler stopfen und die Füße zusammenbinden.«
Der Bärtige eilte nach vorn, wie er es immer tat, wenn seine Laune auf dem Tiefpunkt angekommen war, und trieb das Maultier an, das den Tross von Gefangenen anführte.
»Wenn du Recht hast und die Zwerge uns ins Moor führen, frage ich mich, wie das mit der Aussage von Dorimbur zusammenpasst, dass sie eine Mine errichten wollen. Torf sticht man nur aus dem Boden heraus. Dafür muss man keine langen Schächte ins Erdreich graben«, flüsterte Tislo.
»Kohle, mein kleiner Freund«, sagte der Händler hinter Nelf. »Sie brauchen Kohle für ihre Schmieden. Das schwarze Gold besteht aus Torf, der über Jahrhunderte gepresst wurde und unter Luftabschluss im Moor lagert.«
Nelf grübelte darüber nach, was der Händler gesagt hatte, aber es ergab für ihn irgendwie keinen Sinn. Das bisschen Kohle, das die Zwerge brauchten, stellten sie in eigenen Köhlereien aus Holzstämmen her. Er selbst hatte die Köhlerhaufen am Fuß der Berge gesehen, und es schien ihm nicht, als wenn es den Zwergen an Glut für ihre Essen mangelte.
Weitere Kostenlose Bücher