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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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Gindawell erleichtert, »dann können wir auch gleich zum Thema kommen.«
    Er erhob sich feierlich und schaute in die Runde. Niemand der anderen schien ein besonderes Interesse daran zu haben, was Gindawell sagen wollte. Sie kramten in ihren Manteltaschen und holten einer nach dem anderen ein kleines Bündel zum Vorschein, das sie vor sich auf den Tisch legten. Abschätzend spähten sie zu den Plätzen ihrer Nachbarn. Tilmo Rindenstolz war der Erste, der sein Bündel öffnete. Zum Vorschein kamen ein gutes Dutzend saftige Kirschen.
    Beeindruckt verzogen die anderen das Gesicht, nur Vanilla Grünblatt kam mal wieder nicht umher, etwas Gift zu verspritzen.
    »Ich habe den Baum in deinem Vorgarten gesehen«, zischte sie. »Er scheint mir ein bisschen jung, um solche Früchte zu tragen. Könnte es sein, dass du die Kirschen von Nuberts Baum hast, und zwar von den Ästen, die hinüberragen auf dein Grundstück? Ich meine dort, wo der Kompost steht.«
    Tilmo schaute Vanilla empört an.
    »Was über meinem Grundstück wächst, gehört mir«, rechtfertigte er sich. Was kann ich dafür, wenn Nubert sich nicht darum kümmert. Allein mein glückliches Händchen für Kirschen haben sie so werden lassen. Das hat mit Nuberts Baum rein gar nichts zu tun.«
    Die anderen waren schon am Kichern, nur Meister Gindawell nicht.
    Dann gaben alle außer dem Kleriker nacheinander preis, welche Ausbeute sie in ihren Gärten gemacht hatten. Bürgermeister Butterblums präsentierte stolz fünf kerzengerade Mohrrüben, sein Bruder Jeroll eine Handvoll Radieschen. Joos Findlings und Vanilla Grünblatts Beutel waren beide gefüllt mit akribisch ausgewählten und dann handpolierten Johannisbeeren.
    Vanillas Blick zeigte, dass sie Joos’ Ausbeute gern madig gemacht hätte, doch das war schwierig, ohne einen Schatten auf ihr eigenes Bündel zu werfen. So schluckte sie ihren Neid herunter.
    Als das Kräftemessen vorüber war, konzentrierten sich die Anwesenden wieder auf Gindawell.
    Ihre Blicke versprachen dennoch wenig Interesse. Jedes der sechs Ratsmitglieder war zwar kompetent genug, eine Entscheidung für das Gemeinwohl der Stadt zu treffen, aber um sich wirklich für ein Problem zu ereifern, war es nahezu unumgänglich für sie, sich selbst sprechen zu hören.
    Meister Gindawell nahm einen Schluck Wasser und räusperte sich. Milo erkannte die Anspannung in ihm. Eine Anspannung, die nicht zu seiner Art passte. Gindawell war nachdenklich, eigenbrötlerisch und manchmal auch euphorisch, aber sein momentaner Zustand war eine ganz neue und für seinen Lehrling beunruhigende Seite an ihm.
    »So, ich will als Erstes darauf hinweisen   …«
    »Das Protokoll verlangt einen Anwesenheitsabgleich«, unterbrach ihn Bürgermeister Butterblums.
    Tilmo Rindenstolz schnipste eine Papierkugel, die er zuvor auf dem Tisch geduldig zusammengerollt hatte, in Richtung Bürgermeister und traf ihn, eher ungewollt, unter dem rechten Auge.
    »Was sollen die Kindereien?«, blaffte ihn Bons an.
    »Das frage ich mich auch«, konterte Tilmo. »Du bist sicher nicht Bürgermeister geworden, weil du so gut zählen kannst. Es gibt sechs Ratsmitglieder, und sechs Personen sitzen am Tisch. Welche Anwesenheit willst du bitte schön abgleichen?«
    Vanilla kicherte hinter vorgehaltener Hand. Sicherlich fand sie weniger Belustigung an dem Gesagten. Vielmehr erfreute sie die würdelose Bloßstellung des Bürgermeisters.
    »Nun reicht es aber«, fauchte Meister Gindawell und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was ich euch vorzutragen habe   …«
    »Ich wollte ja nur die offizielle Satzung einhalten«, unterbrach ihn Bürgermeister Butterblums abermals.
    Milo sah, wie schwer es seinem Meister fiel, die neuerliche Unterbrechung mit gelassener Souveränität hinzunehmen. Seine Faust drückte noch immer auf die Tischplatte, und die Anspannung, die darin lag, spiegelte sich in seinen weißen Knöcheln wider.
    »Ich habe die Versammlung einberufen«, begann er erneut mit bebender Stimme, »weil die jüngsten Ereignisse in Eichenblattstadt, wenn man sie genau betrachtet, ein bestimmtes Muster aufweisen. Und ich spreche damit nicht nur auf den Verlust unseres Wahrzeichens oder die jüngsten Vorfälle am Brunnen an.«
    Tilmo Rindenstolz legte unvermittelt ein weiteres verknotetes Bündel aus blaugrün kariertem Stoff auf den Tisch, betrachtete es erwartungsvoll und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Mit breitem Grinsen öffnete er das verknotete Ende, klappte die vier Ecken zurück

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