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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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und strich jede einzeln mit dem Handrücken glatt. Zum Vorschein kamen drei herrliche Steinpilze, die man nicht schöner hätte malen können.
    »Möchte jemand schnuppern?«, fragte Tilmo verlockend in die Runde. »Die Pilzsaison hat bereist begonnen, meine Lieben.« Im selben Moment erhellten sich die Gesichter der Ratsmitglieder, und das Bündel machte seine Runde. Nur Meister Gindawellwirkte irgendwie deprimiert, als er sich eine von Tilmos Kirschen in den Mund steckte und den Kern in die hohle Hand spuckte.
    »Könnten wir jetzt bitte wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen«, bat er. »Wie eben schon erwähnt, sind mir einige Dinge aufgefallen, die zu erklären ich mich außer Stande fühle. Ich habe ein wenig in der Dorfchronik und den Sitzungsprotokollen dieses Rates herumgestöbert. Ich hatte gehofft, etwas über den Brunnenbau zu finden und die mögliche Ursache des Sterbens der Eiche auf dem Dorfplatz. Leider wurde ich nicht fündig, aber dafür bin ich über etwas anderes gestolpert.«
    Feierlich erhob sich Joos Findlings und schaute mit finsterer Miene von Gesicht zu Gesicht.
    »Meine Untersuchungen haben etwas hervorgebracht«, beteuerte er stolz. »Ich habe die Ursache für das Kränkeln unseres Wahrzeichens gefunden.«
    »Die alte Laubschleuder ist tot, du Vorstadtgaukler«, rief Vanilla Grünblatt eine Nuance zu laut und zwei Oktaven zu hoch dazwischen. »Gerade du solltest in deinem Alter besser wissen als jeder andere, dass nichts ewig lebt.«
    Joos war niemand, der sich von ein paar Beleidigungen beeindrucken ließ, schon gar nicht von einer streitsüchtigen Tuchhändlerin. Er fuhr unbeeindruckt fort: »Das Rätsel um die verdorrte Eiche ist gelöst. Die Antwort ist Kupfer!«
    »Was soll der Schwachsinn schon wieder«, entfuhr es Bürgermeister Butterblums. »Was hat Kupfer bitte schön mit einem Baum zu tun?«
    »Kupfer ist eines der Elemente, die der Baum durch seine Wurzeln zusammen mit dem Wasser aufnimmt«, erklärte Joos. »Ich glaube, dass durch den Erzabbau der Zwerge im Norden Sedimente aus einer Kupferader herausgespült wurden und ins Grundwasser gelangt sind.«
    »Es geht doch gar nicht um diesen dämlichen Baum«, schrie Meister Gindawell dazwischen und sprang auf. »Es geht um unsere kleingeistigen Zankereien hier am Tisch. Wen interessiert esdenn, warum ein Baum eingeht, ob Kupfer im Grundwasser ist, warum Bons nicht einmal bis sechs zählen kann oder ob Vanillas Bluse heute noch geschmackloser ist als bei der letzten Ratssitzung? Die eigentliche Frage ist doch: Warum muss ich jede Woche aufs Neue mit solch einer Horde Schwachköpfe am Tisch sitzen?«
    Erschrocken über sich und seine eigenen Worte, stand Gindawell am Tisch und starrte bedrückt auf das Glas Wasser vor sich. Ihm schien der Mut zu fehlen, sich den anderen von Angesicht zu Angesicht zu stellen. So eine kränkende Taktlosigkeit hätte man vielleicht von einem ungebildeten Tölpel oder der frustrierten, männerhassenden Besitzerin eines Tuchladens erwartet, aber auf keinen Fall von Humi Gindawell, einem Kleriker und Tempelmeister. Man konnte erkennen, wie er an dem Kloß in seinem Hals zu schlucken hatte. Es war beängstigend, mit anzusehen, wie er, ein Mann des Zuspruches und des Glaubens, an seinen eigenen Worten zu ersticken drohte. Wie vom Blitz getroffen, ließ er sich zurück auf seinen Stuhl fallen.
    »Genau das ist es, was ich meinte«, stammelte er. »Seht ihr es nicht auch? Es macht vor keinem von uns Halt.«
    Einen Moment lang herrschte bedrücktes Schweigen. Jeder versuchte sich selbst, natürlich im Rahmen seiner Möglichkeiten, einen Reim aus dem Geschehenen zu machen.
    »Jetzt wird mir einiges klar«, schrie Vanilla Grünblatt urplötzlich, sprang von ihrem Stuhl auf, der nach hinten umkippte und eine halbhohe Bodenvase mit sich riss. »Das ist wieder einmal so ein Versuch, uns davon zu überzeugen, dass das Wasser im Brunnen auch uns schaden könnte. Ich kann diese ›Trink bloß kein Wasser aus dem Brunnen‹ nicht mehr ertragen. Durch deinen mahnenden Finger und diese Glaubensschwüre wirst du es nicht schaffen, uns auf deine Seite zu ziehen.«
    Mit hochrotem Gesicht stand sie da wie eine Furie und zeigte mit zitternder Hand auf Meister Gindawell. Bons Butterblums, der neben ihr saß, verschwand fast gänzlich hinter den wallenden Stoffen ihrer weit ausladenden, geschmacklos gemusterten Bluse.Milo konnte nicht genau erkennen, ob er versuchte, Vanilla zu beruhigen, oder ob er lediglich daran

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