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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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ebenfalls blind gewesen war. Laut ihren Erzählungen hatte er es zu schätzen gewusst, wenn man ihn berührte, um ihm so das Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu geben, wenn man mit ihm sprach. Narik schien die Geste ebenfalls gern anzunehmen, wenn auch vielleicht aus anderen Beweggründen, wie Dorn vermutete.
    »Ich heiße Senetha, und der Name meines Begleiters ist Dorn.«
    »Senetha, was für ein wundervoller Name für eine schöne jungeFrau«, sagte Narik, »und auch Dorn scheint passend für einen Söldner. Ihr wollt wissen, was ein blinder Mann in einem fremden Haus sucht? Ich will es Euch sagen. Schutz! Meine Freunde und ich sind sozusagen die Vorhut der Stimme des Volkes von Graumark oder wenigstens von Zargenfels, so hoffen wir. Wir gehören zu den Menschen, die nicht alles für bare Münzen nehmen, was von den Priestern Regors verbreitet wird. Nicht alles, was sie uns zu erzählen versuchen, dient der Stärkung des Glaubens oder dem Seelenheil der Bürger. In ihren Worten schwingt Selbstsucht und Raffgier mit. Außerdem haben sie zu wenig Antworten auf zu viele Fragen, und manchmal scheint es gar, als wüssten sie selbst nicht, welchen Weg die Götter für uns gewählt haben.«
    »Aber Ihr wisst es?«, fragte Senetha, obwohl die Antwort offensichtlich schien.
    »Nein, das nicht, aber ich würde auch keinen anderen Blinden fragen, ob er mich führt. Warum sollte ich also Priestern vertrauen, die den Willen der Götter ebenso wenig kennen wie ich. Aber das Schlimmste an ihnen ist, dass sie ihre Unsicherheit zu verbergen versuchen, indem sie andere in Angst leben lassen und damit drohen, jeden zu töten, der ihren Worten nicht glaubt.«
    Dorn kannte diese Sorte Männer, von der Narik vorgab, einer zu sein. Sie fanden sich auf Hinterhöfen oder in abgelegenen Gassen und sprachen zu jedem, der ihnen zuhörte. Sie schwangen große Reden, machten den Leuten Mut oder stachelten sie an, etwas zu verändern, doch sobald ein Regorianer um die Ecke bog, waren sie verschwunden wie der Hase in seinem Bau, wenn der Greif über ihm schwebt. Diese Männer schwangen große Reden, wenn sich ihnen Zuhörer boten, aber sie achteten darauf, dass der Einsatz nicht zu hoch war. Narik war zu selbstsicher und zu fordernd als Gerechtigkeitsapostel. Ihn trieben noch andere Motive, da war Dorn sicher.
    »Du spuckst große Worte und schreist nach Veränderung, doch was sagt dir, dass du richtig liegst und alle anderen verkehrt?«
    »Wer taub ist, wird durch Worte nicht vergiftet, der Gelähmtewird durch Folter nicht gefügig, und wer nicht sehen kann, wird nie verblendet sein. Die Worte der Priester sagen mir, dass sie die wahren Blinden sind. Wir dürfen uns ihre Tyrannei nicht länger gefallen lassen. Sie sind getrieben vom Hass auf alle, die nicht so denken wie sie, und die sich weigern, nach ihren Gesängen zu tanzen. Wenn es Regors Wille ist, dass die Priester in seinem Namen solche Ungerechtigkeit unter den Menschen verbreiten, frage ich mich, warum wir solch einen Gott preisen sollten, anstatt ihn lediglich zu fürchten. Die Hand, die mich schlägt, macht mich nicht zum Sklaven. Das tue ich selbst, indem ich mich für die Prügel bedanke. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der wir uns entscheiden müssen, ob wir freie Menschen sein wollen, die ihren Gott lieben und ehren, oder ob wir nur Sklaven des Glaubens sind.«
    Dies war sicherlich nicht Nariks erste Rede, und es würde auch nicht seine letzte sein. Die Wahrer des Glaubens, wie sich solche wie er nannten, waren allesamt Menschen, die mit Worten umzugehen wussten. Was aber nicht heißen sollte, dass ihre Ansichten verkehrt waren. Neu war jedoch dieser Aktionismus. Früher hatten sich die Rädelsführer damit begnügt, andere zum Nachdenken anzuregen und ihnen die Welt zu erklären, aber nichts von dem, was sie predigten, war je in greifbarer Nähe gewesen   – erst recht kein ernsthafter Widerstand.
    »Warum jetzt, warum hier?«, fragte Dorn, der es wie immer schaffte, mit wenigen Worten auszukommen und trotzdem ins Schwarze zu treffen.
    Nariks blinde Augen suchten Dorn, und sie fanden ihn erstaunlich gut.
    »Weil uns jemand die Augen geöffnet hat. Nach Jahren der Qualen hat endlich eine verlorene Seele unsere Stimmen erhört und den Mut gefasst, sich gegen diese selbstherrlichen Priester zu erheben. Der Funke der Gerechtigkeit ist in das Reisig des Jochs gefallen.«
    Dorn zog entnervt die Augenbrauen zusammen.
    »Kannst du auch ganz normal reden, du Hinterhofprediger, damit

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