Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Gesicht greifen, doch es gelang ihm nicht. Jetzt spürte er die schneidenden Fesseln um Handgelenke und Fußknöchel.
Jemand packte ihn grob unter den Achseln und setzte ihn aufrecht hin. Es war Uschma. Die Trollfrau griff mit einer Hand nach seiner Kehle und presste ihn gegen die Wand.
»Das hättest du nicht tun sollen«, knurrte sie ihn an. »Wenn du uns nicht vertraust, werden wir dich töten.«
Ihr vertrauen? Was hatte sie gedacht? Dass sie einfach zwei Halblinge entführen konnte, um dann mit ihnen Freundschaft zu schließen? Trolle und Halblinge, das passte schlichtweg nicht zusammen. Auf allen Bildern, die Milo kannte, lagen die Trolle entweder tot zu Füßen staunender Halblinge, rannten hinter panisch flüchtenden Halblingen her oder rösteten sie über einem Feuer. Ein Bild, auf dem ein Troll zusammen mit einer Halblingsfamilie am Mittagstisch saß und genüsslich Blaubeerpfannkuchen mampfte, gab es hingegen nicht.
Milo hörte die Stimme seines Vaters in seinem Kopf: Den ganzen Tag heckst du mit deinem Bruder diese Streiche aus. Ihr verwüstet das halbe Dorf, und weil euch das Chaos noch nicht reicht, bringt ihr jedes einzelne ehrenwerte Mitglied des Rates um. Ich habe Cephei auf Knien gedankt, als ihr verschwunden wart, und ich habe darum gebetet, euch nie wieder sehen zu müssen. Doch anstatt euch von einem Drachen fressen zu lassen, kommst du plötzlich wieder nach Hause und stellst mir deine neue Trollfrau vor. Wenn du denkst, sie kann hier schmatzend und sabbernd am Tisch sitzen, hast du dich geirrt. Ab mit euch beiden in die Scheune, wo ihr hingehört .
Während die Geisterstimme seines Vaters verstummte, trat Uschma beiseite und gab den Blick auf drei frech grinsende Goblins frei. Zwei von ihnen waren recht klein, selbst für diese grünhäutigen Aasfresser, und bis auf einen Lendenschurz quasi unbekleidet. Dafür schleppten sie eine große Anzahl Messer, Speere, Knüppel und je einen Kurzbogen mit sich herum. Einer von ihnen nickte Milo hämisch zu, täuschte einen Hieb mit dem Speer an und ließ mit der anderen Hand seine Fackel kreisen. Anscheinend sollte es so etwas wie Bewunderung bei ihm hervorrufen, tat es aber nicht.
Der letzte Goblin war gut einen Kopf größer als seine Begleiter und um einiges älter. Milo machte das an den langen filzig-grauen Haarbüscheln auf seinem Kopf, den braunen Zahnruinen und den zu groß geratenen Ohren fest – die wuchsen nämlich ein Leben lang weiter. Die überaus stattlichen Exemplare des Goblins mussten Jahrzehnte Zeit dazu gehabt haben! Abgesehen davon, trug er Teile eines zwergischen Schuppenpanzers sowie einen Wickelrock. Eine äußerst gewagte Zusammenstellung, besonders wenn man grünliche Haut besaß, Arme und Beine nicht viel dicker waren als Besenstiele und der Schamanenstatus es verlangte, eine Fellmütze mit mickrigem Hirschgeweih zu tragen.
Dennoch, Goblins waren nicht zu unterschätzen. Man konnte sie nicht unbedingt als zähe Krieger bezeichnen, aber sie kämpften mit List und Tücke. Drei oder vier von ihnen konnten einen Ritter zu Fall bringen und töten. Und wenn sie einen Schamanen dabei hatten, suchte man besser sein Heil in der Flucht. Sie verfügten über Pülverchen und Tinkturen, die Rauch erzeugten, Männer erblinden und ohnmächtig werden ließen oder ihre Sinne betäubten. Diese Mischung aus Hexenmeister und Priester setzte man entweder schnell außer Gefecht oder bekämpfte sie mit eigenen Zaubern, wenn man welche besaß.
»Die Stimme hat zu mir gesprochen!«, rief der Schamane plötzlich aus und reckte dabei die Arme gen Himmel.
Seine beiden Begleiter ließen sich sofort auf ein Knie nieder, wie Krieger, die den Ritterschlag erwarteten. Und auch Uschma senkte das Haupt.
»Kein Wunder, dass er Stimmen hört, so wie er aussieht«, raunte Bonne.
»Er hat zu mir gesprochen«, wiederholte der Schamane, wobei die Fackel am Eingang ein merkwürdig helles Licht verbreitete.
Jetzt zeigte er auf Milo und Bonne und schien auf eine Reaktion zu warten. Als keiner der beiden etwas sagte, schoss plötzlich einer der Goblins hoch und verpasste Bonne einen Schlag mit dem Speer auf den Oberarm.
»Au! Was soll denn das?«
»Ich, Xumita Latorinsis, stelle euch in seinen Dienst!«, rief der Schamane.
»Ich nehme die Wahl an«, erwiderte Bonne mit wenig Enthusiasmus, aber wahrscheinlich wollte er sich so vor einem weiteren Schlag retten.
»Ich auch!«, schwor Milo schnell, um nicht statt Bonne einen Hieb mit dem Speer abzubekommen,
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