Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
wenn er nicht antwortete.
»Damit ist es besiegelt. Ihr zwei Dürrzwerge seid von nun das Werkzeug von Xumita Latorinsis, der die Stimme hört.«
Eigentlich hätte Milo gern richtiggestellt, dass sie Halblinge waren und nicht so etwas wie verhungerte Zwerge. Er entschloss sich aber, großzügig über dieses Missverständnis hinwegzusehen. Der Schamane würde es vielleicht nicht mögen, wenn er unterbrochen würde.
»Und müssen wir jetzt irgendetwas tun?«, fragte Bonne verwirrt. »Ihr werdet uns doch wohl nicht aufschneiden und versuchen, die Zukunft aus unseren Eingeweiden zu lesen.«
Zur Antwort bekam er einen weiteren Hieb mit dem Speer.
Milo war nicht besonders gläubig. Zwar hatte er Meister Gindawell geholfen, doch das machte ihn noch lange nicht zu einem gottesfürchtigen Halbling. Eines war ihm jedoch bewusst: Das Gelübde, das sie gerade abgelegt hatten, passte so gar nicht in das Gefüge ihres eigenen Glaubens. Was der Schamane ›die Stimme‹ nannte, war vermutlich Hadar. Gott der Gottlosen, so nannten die Halblinge ihn. Orks, Trolle, Goblins und allerhand andere Kreaturen beteten zu ihm. Warum der Schamane ihn nicht mit Namen ansprach und nur die Stimme nannte, wusste Milo nicht, aber wer verstand schon, was ein Goblin tat und sagte. Schließlich nannten sie Halblinge auch Dürrzwerge.
»Die Stimme hat eine Aufgabe für euch«, fuhr Xumita Latorinsis fort. »Ich habe sie empfangen, und sie weihte mich in die Geheimnisse ihres Wissens ein. Die Welt ist vergiftet, und das Gift wird sich ausbreiten über alle Gläubigen und Ungläubigen. Es wird befallen alle Blumen, Pflanzen und Bäume. Es wird verseuchen das Wasser. Es wird zersetzen die Steine, Felsen und Berge. Und zuallerletzt wird es die Toten und die Ahnen heimsuchen und unsere Welt zerstören.«
Das hörte sich nicht sonderlich gut an, egal ob man gläubig war oder nicht. Allerdings wusste Milo, dass die Völker der Gottlosen gern mit solchen düsteren Prophezeiungen aufwarteten. Sie dachten wohl, ihrem Gott damit eine gewisse Stellung innerhalb der anderen Religionen verschaffen zu können. Wann immer irgendwelche Söldner, Soldaten oder Stadtwachen in den Geschichten einen der Grünblütigen gefangen nehmen konnten, kündete der von Weltuntergängen. Ja, Weltuntergängen! Man musste ihn nur lange genug am Leben lassen, dann überschüttete er den geneigten Zuhörer mit dunklen Offenbarungen.
Milo versuchte, ein entsetztes Gesicht zu machen.
»Das ist ja grauenvoll«, sagte er etwas zu übertrieben. »Aber was sollen zwei Halblinge wie wir daran ändern?«
Einer der Goblins holte gerade zum Schlag mit dem Speer aus, um die unangemessene Unterbrechung ihres Schamanen zu bestrafen, da hielt ihn Xumita Latorinsis zurück.
»Eine gute Frage für einen Ungläubigen«, knurrte er. »Diese Frage habe ich auch der Stimme gestellt.« Der Schamane sah Milo einen Augenblick bedeutungsschwanger an.
»Und was hat sie gesagt?«, fragte Milo vorsichtig.
Xumita Latorinsis entriss seinem Begleiter den Speer und sprang in einem Satz über die Feuerstelle hinweg. Der erste Schlag traf Milo im Gesicht, der zweite am Hals. Milo konnte sich den Hieben nicht erwehren, da er immer noch gefesselt war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich so gut wie möglich abzuwenden. Immer weiter schlug der Schamane auf ihn ein und verkündete dabei die Worte der Stimme: »Glaubst du wirklich, du verblödetes, jämmerliches, hässliches, wimmerndes, schleimiges, übel riechendes Gewürm, dass die Stimme nicht einen guten Grund hat, zwei Ungläubige für ihre Dienste einzuspannen?«
Xumita Latorinsis schlug im Takt seiner Beschimpfungen weiterauf Milo ein. Dann endete die Misshandlung plötzlich, und der Schamane ging auf seinen Platz zurück und übergab den Speer an seinen Gefolgsmann.
»Das war ihre Antwort«, verkündete Xumita, »nicht wortwörtlich, sondern sinngemäß. Es bereitete mir aber ähnliche Schmerzen. Als die Stimme sich wieder beruhigt hatte, nannte sie mir ihren wirklichen Namen.«
Jetzt ging es los mit den düsteren Vorahnungen, vermutete Milo.
»Sie nannte sich ›der Zweitgeborene‹. Er gab mir die Aufgabe, eines der ersten Lämmer der Mutter zu finden, denn nur das Lamm kann den Giftstachel aus dem Leib der Erde ziehen. Der Zweitgeborene sandte mich nach Zargenfels, um dort nach dem Lamm zu suchen und es hier in das Zentrum des Düsterkrallenwaldes zu bringen.«
»Zargenfels scheint voll von Müttern zu sein«, flüsterte Bonne.
Milo lagen
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