Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
dass Milo etwas damit anfangen konnte.
»Dann doch lieber das«, zischte Bonne und riss Milo das Medaillon aus der Hand.
Bevor er sich beschweren konnte, hatte sich Bonne die Kette bereits um den Hals gehängt. Milo war aufgefallen, dass sein Bruder darauf geachtet hatte, dass weder Kette noch Anhänger seine Haut berührten. Aus eben diesem Grund hatte er wahrscheinlich auch so schnell von dem Ring abgelassen. Ein Ring war wesentlich persönlicher.
Dutzende Geschichten von Zauberringen fielen Milo ein. Nicht alle davon hatten Kräfte, die ihren Besitzern zu großen Taten verhalfen. Besonders wenn man bedachte, dass der Goblin dieses Schmuckstück einem Toten abgenommen hatte, war es wenig verheißungsvoll.
Milo warf dem Schamanen einen unsicheren Blick zu, und der antwortete mit einem bestimmenden Nicken. Milo drehte sich der Magen um, als er den Ring über seinen Mittelfinger streifte. Doch es passierte nichts. Milo wartete noch einen Augenblick ab, ob sich die Magie vielleicht erst einen Moment später zeigte, doch es blieb dabei. Der Ring saß schwer und kühl an seiner Hand. Der Vorbesitzer schien ihn am kleinen Finger getragen zu haben, wenn Milo sich das menschliche Skelett besah, dessen Arm aus dem Haufen Gebeine herausragte. Vielleicht zeigte das Schmuckstück seine Magie erst, wenn man es auf den richtigen Finger steckte. Milo wollte jedoch keine schlafenden Hunde wecken und gab sich zufrieden.
»Was sollen wir nun tun?«, fragte er, den Blick zwischen dem Goblinschamanen und der Trollfrau wechselnd. »Sind wir jetzt frei und können gehen?«
»Glaubst du, weil unser Blut grün ist, sind wir vollkommen dämlich?«, fauchte ihn Xumita Latorinsis an. »Ihr würdet zurück in euer Dorf laufen und keinen Finger krümmen. Lustig würdet ihr euch über uns machen und überall herumerzählen, wie ihr uns hereingelegt habt und wie dumm die Grünblütigen sind. Nichts da, ich werde euch niemals vertrauen, egal, was ihr uns versprecht. Ich habe mir etwas einfallen lassen, damit ich sicher sein kann, dass ihr in Zargenfels nach dem Lamm der Mutter sucht.«
Der Schamane löste einen Beutel von seinem Gürtel und schüttete etwas gräuliches Pulver daraus in seine Hand.
»Haltet sie fest!«, befahl er seinen Gefolgsleuten.
Die beiden Goblins hatten keine Schwierigkeiten, der gefesselten Halblinge nacheinander habhaft zu werden. Einer packte die Arme, der andere zog Milo an den Haaren, damit er aufsah. Der Schamane trat vor und blies ihm das Pulver direkt ins Gesicht. Die ascheähnliche Substanz geriet in Augen, Nase und Mund, vernebelte Milos Sicht und rief einen Hustenanfall hervor.
Dieselbe Prozedur musste auch Bonne über sich ergehen lassen, schien aber besser vorbereitet darauf zu sein und spuckte die Reste des bitteren Pulvers einfach aus.
»Falls ihr glauben solltet, ihr könntet so einfach wortbrüchig werden und euch irgendwo verkriechen, so muss ich euch enttäuschen. Was dem einen geschieht, wird auch dem anderen fortan zustoßen. Wenn einer stirbt, ist auch das Leben des anderen verwirkt. Dieser Fluch soll euch an euer Versprechen binden.«
Xumita sah sich die beiden Halblinge abschätzend an, dann zeigte er auf Milo.
»Du wirst gehen und mein Werkzeug sein. Finde das Lamm der Mutter, um das Gift aus der Erde zu schneiden und diese Welt zu heilen. Dein Bruder bleibt hier, bis du deine Aufgabe erfüllt hast. Der Winter wird hart, und wir haben noch nicht genügend Vorräte. Also ist es besser, du beeilst dich, sonst wird sein Schicksal auch deines sein«, verkündete Xumita Latorinsis.
Milo hätte schreien und toben können, doch es hätte nichts geholfen. Sein Bruder war genau wie er jetzt auf sich gestellt. Alles, was Milo tun konnte, war, zu versuchen, den wirren Anweisungen des Schamanen einen Sinn zu geben, oder darauf zu hoffen, dass sein Bruder irgendwie entkommen konnte. Letzteres schien momentan naheliegender.
13. RUBINIA
Das alte Maultier stampfte unruhig auf der Stelle. Laut hallten die Hufschläge von dem gepflasterten Bereich vor dem Krähenturm über die Lichtung.
»Ruhig, Malwin«, sagte Othman zu dem Tier und klopfte ihm freundschaftlich den Hals. »Endlich kann zumindest einer von uns zeigen, dass er nicht zum alten Eisen gehört.«
»Ihr seid nicht alt, nur weise«, entgegnete Rubinia von dem kleinen einachsigen Karren herunter.
»Hm, das ist das Gleiche, nur eine Umschreibung, um sich besser zu fühlen. Ich bin alt, meine Haut ist schrumpelig, meine Knochen mürbe und
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