Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
Vom Netzwerk:
ihr erstarren ließ, wurde Tag um Tag dicker, der Schleier der Gleichförmigkeit senkte sich über die Tage. Ein langweiliges Buch, eine amerikanische Fernsehserie oder ein paar Zeitschriften reichten ihr aus, um die Stunden totzuschlagen. Die meiste Zeit lauschte sie auf die Stille des Hauses, die auch bei offenen Fenstern nur schwach vom fernen Lärm der Mainmetropole beeinträchtigt wurde. Dann lehnte sie sich zurück und döste.
    So verging mehr als ein halbes Jahr, bis ihre Partnerin Bianca sie in den Beruf zurückholte.
    »Ich schaffe das nicht allein, Evelyn«, erklärte sie bei einem ihrer Besuche. »Die Unternehmensberatung, das bist du. Jedenfalls identifizieren unsere Kunden die Firma mit deinem Gesicht, mit deinem Kopf. Übernimm zwei Aufträge pro Monat, bitte, das ist wirklich nicht zu viel verlangt.«
    Bianca war die Einzige, die Evelyn in den letzten Monaten näher gekommen war, statt sich von ihr zu entfernen. Evelyn hatte bis dahin privat nur wenig mit ihr zu tun gehabt, denn sie waren zu verschieden. Bianca hatte eine direkte und bisweilen geradezu schrotige Art, ein Überbleibsel ihrer Kindheit auf dem Dorf. Aber sie verstand ihr Geschäft, und darum hatte Evelyn sich damals vor der Geburt auch für sie als Partnerin entschieden. Jetzt übertrieb Bianca absichtlich die Lage, um Evelyn wieder ein Stück ins Leben zurückzuholen.
    Evelyn tat das Nötige, mehr nicht, und sie achtete
darauf, nur Aufträge im Rhein-Main-Gebiet zu übernehmen, so dass sie jeden Abend zu Hause sein konnte. Die Reiselust, die sie früher so lebendig gemacht hatte, die Lust, Neues zu entdecken, war das Erste, das ihr abhanden kam. Anderes folgte: Sie verlor die Lust, essen zu gehen, die Lust an gutem Essen überhaupt, sie las keine Zeitungen mehr, interessierte sich kaum für neue Bücher und hörte auf, die alten Platten aufzulegen. Kleinigkeiten, die ihr Leben reich und bunt gemacht hatten, versickerten nach und nach: das Blättern in Fotoalben, das Interesse für Fremdsprachen, Kerzenlicht an Winterabenden, Gartenarbeit im Frühling, Diskussionen über Politik … Für nichts davon konnte sie sich noch begeistern, und obwohl sie wusste, dass sie sich hätte begeistern müssen , um nicht unterzugehen, vermochte sie es nicht. Sie fand sich damit ab, dass sie fortan einsam in einer trostlosen Welt leben würde.
    Und Carsten arbeitete und schwieg.
    Von da bis zum Alkohol war es für sie nur noch ein kleiner Schritt. Sie entdeckte, dass Rotwein am Abend wieder ein wenig Farbe in das Grau brachte, und als eine halbe Flasche nicht mehr genügte, trank sie eine ganze, und dann nicht nur abends, sondern über den Tag verteilt. Härtere Sachen wie Gin, Rum und Wodka kamen hinzu, wobei sie darauf achtete, sie nur in Form von Cocktails zu trinken, weil sie ihr sonst nicht schmeckten. Merkwürdig, dass sie bei Alkohol immer noch ein Gefühl von Genuss verspüren wollte. Andere Leute nahmen Baldrian oder rauchten oder stürzten sich in die Arbeit, und sie trank eben Alkohol, um sich zu beruhigen oder aufzumuntern.
    Immer mehr davon.
    Und Carsten schwieg weiter.
    Die Freudlosigkeit, die Sprachlosigkeit, der Alkohol und die Ohnmacht, das alles war wie ein Schwelbrand, der
nach und nach und fast unmerklich die ganze Konstruktion ihres Lebens zerfraß, bis nur noch eine einzige Erschütterung fehlte, die alles zum Einsturz bringen würde.
    Die Erschütterung war nicht ausgeblieben.
    Vor genau vier Tagen war Carsten nicht da gewesen. Er war eigentlich fast nie da. Seine Bank, die United Trade and Commerce Bank , die auf die Finanzierung von Unternehmensprojekten in aller Welt spezialisiert war, hatte ihn befördert. Mittlerweile war er verantwortlich für die Vergabe von Großkrediten auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Er war die Feuerwehr: Wenn irgendwo etwas aus dem Ruder lief, kam er und versuchte, das Problem zu lösen. Manchmal musste er ganz plötzlich fort. Es kam vor, dass sie den Telefonhörer abnahm, und eine gebrochen englisch sprechende Stimme sagte: »Hilton Hotel, Ouagadougou, guten Tag. Ich verbinde.« Dann knackte es in der Leitung, und Carsten sagte: »Hallo, Schatz, ich musste ganz schnell nach Ouagadougou.« Anfangs machte sie sich noch die Mühe, im Atlas nachzuschauen, wo Ouagadougou lag. Oder Nuakschott. Oder Harare. Oder Ndjamena. Als könne sie Carsten dadurch näher sein, dass ihr Finger auf einem roten Punkt auf der Landkarte ruhte! Doch das hatte sie irgendwann aufgegeben, nicht weil sie begriffen

Weitere Kostenlose Bücher