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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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verstecken oder zu erkennen geben sollte, doch bevor sie sich entscheiden konnte, hatte Evelyn sie bereits gesehen. Evelyn
war etwas außer Atem, was Ane bei einer Alkoholikerin allerdings auch nicht verwunderte.
    »Wollen Sie zur Fähre?«, fragte Ane. »Die legt in zehn Minuten ab.«
    Evelyn ging nicht darauf ein. »Ich habe eben erfahren, dass Ray Kettner in Wahrheit kein Hotel bauen, sondern den Wald roden will.«
    Ane war völlig perplex. »Wald roden?«
    Evelyn schnitt eine Grimasse. »Ihre Provision ist mir ebenfalls bekannt, Ane, Sie können das Spielchen also sein lassen. Beinahe nehme ich Ihnen Ihr Verhalten nicht einmal übel. Ray hat das Talent, die Menschen genau dort zu packen, wo sie ihre Schwächen haben, und dann trägt er sie mit sich herum.«
    Ane verstand überhaupt nichts. »Ich weiß nicht, was …«
    »Wie dem auch sei«, unterbrach Evelyn sie. »Etwas Gutes hat diese schlimme Sache wenigstens, denn nun kann Ili Ihre Großmutter überzeugen, das Land nicht zu verkaufen. Und wenn Sie auch nur eine Spur Anstand besitzen, Ane, helfen Sie ihr dabei.«
    Die Fähre schickte ihr Signal über den Hafen, bereit zur Abfahrt.
    »Ich muss gehen!«, rief Evelyn und rannte den Kai hinunter.
    Ane verdrehte die Augen. »Du liebe Güte«, sagte sie halblaut vor sich hin, »das wird ja immer schlimmer mit der.«
    Sie versuchte, den Gedanken an diese ebenso wirre wie unangenehme Begegnung abzuschütteln, und warf einen Blick in den Himmel, wo sich graue Wolken über Apia zusammenzogen. Es würde bald regnen. Sie musste sich beeilen, wenn sie im offenen Jeep noch trocken zum Hotel zurückkommen wollte, aber sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen oder schnell zu reagieren. Beinahe abwesend ordnete sie die Einkäufe auf
dem Rücksitz, setzte sich ans Steuer und steckte den Zündschlüssel in den Anlasser. Sie war nicht fähig, ihn zu drehen. Für einen kurzen Moment kamen ihr wieder die Bilder in Erinnerung von dem Tag, an dem ihr Vater gestorben war, dem Tag des Brandes. Die halbe Plantage war abgebrannt, eine weite Ebene mit nichts als verkohlten Baumstümpfen und dem Schlick der verschmorten Früchte, und dazwischen eine einzelne schwarze Gestalt, kaum noch als Mensch zu erkennen.
    Ane lehnte sich zurück und japste nach Luft. Warum kamen gerade jetzt diese Horrorbilder wieder zum Vorschein. Bilder, die nicht in diese Zeit gehörten. Die ihr Angst machten. Die störten.
    Es musste an dem liegen, was Evelyn ihr gesagt hatte. Rodung. Verwüstete Flächen. Als Kind hatte ihr Vater Atonio ihr einen Papayabaum geschenkt, den sie selbst betreuen und abernten durfte, und der war nach dem Brand ebenso zerstört worden wie nach einer Rodung die Riesenfeigen und Schirmakazien zerstört wären, auf die sie als Kind so gerne geklettert war. Bei diesem Gedanken wurde ihr übel. So etwas konnte nicht sein, durfte nicht sein.
    »Springt er nicht an?«, fragte jemand. Ein junger Mann war über die Straße gekommen und neben ihrem Wagen stehen geblieben. Er trug einen weißen lavalava , die traditionelle, bequeme Kleidung Samoas, und sein Oberkörper war wie bei den meisten samoanischen Männern nackt.
    »Nein, ich … Ich meine doch.«
    Er lachte, und Ane rang sich immerhin ein Lächeln ab, mehr als sie sonst für ihre gleichaltrigen männlichen Landsleute übrig hatte.
    »Du kannst ja doch freundlich schauen«, sagte der junge Mann. »Meine Freunde da drüben haben mich gewarnt, dich anzusprechen. Die haben behauptet, du würdest den Charme eines Kaktus haben. Ich finde das nicht.«

    »Oh, wie nett«, sagte sie spitz.
    »Also, was ist nun mit dem Wagen? Du sitzt schon fünf Minuten da drin, ohne loszufahren.«
    »Mit dem Wagen ist alles in Ordnung.«
    »Aber mit dir nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Du siehst nicht gut aus, ganz bleich. Besser, du fährst nicht.«
    Die ersten dicken Regentropfen klatschten behäbig auf die Sitzpolster.
    »Aber ich muss fahren«, sagte sie. »Sonst wird alles nass.«
    »Ich helfe dir, das Verdeck aufzuziehen.«
    »Ich habe es nicht dabei.«
    »Nicht dabei?« Er schmunzelte. »Wenn ich nicht genau wüsste, dass du Samoanerin bist, würde ich dich für eine Touristin halten. Im November ohne Verdeck unterwegs, wo gibt’s denn so was!«
    Sie verdrehte die Augen. »Ja, gut, es war dumm von mir. Bist du nun zufrieden? So, und jetzt muss ich fahren.«
    »Warte«, rief er und öffnete die Fahrertür. »Ich fahre dich.«
    »Bist du verrückt? Ich kenne dich doch

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