Der Duft der grünen Papaya
was sie damit erreicht hatte. Sie verglich ihre Beine mit denen des Models, danach die Brüste, und sie war der Meinung, in puncto Figur und exotischer Ausstrahlung durchaus mithalten zu können. Anders sah es mit der Nase aus. Diese verfluchten, platten, polynesischen Nasen! Wieso konnte sie nicht einen Briten oder Deutschen zum Vorfahr haben, so wie Ili, dann hätte sie dieses Problem nicht und könnte sich das Geld für eine Schönheitsoperation sparen.
Die Vanity Fair verdarb ihr plötzlich die Laune. Ane legte sie zur Seite, und sie fiel zu Boden. Als sie sie aufheben wollte, entdeckte sie einen Schuh, der ihr bekannt vorkam – Evelyns Schuh. Natürlich musste sie nicht lange überlegen, wie ein Frauenschuh unter Rays Bett kam, und sie war auch nur ein kleines bisschen verärgert.
Sie liebte Ray nicht. Zwischen ihnen war nichts, keine Gefühle wenigstens. Er half ihr, und sie half ihm. Um an die Greencard zu kommen, hätte sie ihn vielleicht sogar geheiratet, aber nicht, um das ganze Leben mit ihm zu verbringen. Du liebe Güte, der Mann war ein Cowboy! Aufregend, erotisch, männlich, stark, ja, aber ihm fehlte jede Eleganz. Wenn er mit einer anderen Frau schlafen wollte – bitte.
Musste es jedoch ausgerechnet Evelyn sein! Eine Trinkerin! Eine Frau, die etwa fünfzehn Jahre älter war als sie!
So langsam verstand Ane, was vorhin am Hafen vorgefallen war. Ray hatte Evelyn rausgeschmissen, und sie rächte sich nun mit absurden Geschichten. Typisch verletzte Frau. Ihr würde so etwas nicht passieren.
Sie beschloss, kein Aufhebens um den Schuh zu machen. Nichts hassten Männer mehr, als wenn man ihnen Vorhaltungen machte.
Als er endlich zu ihr kam, rief sie: »Hallo, Raymond.«
Irgendetwas hatte seine Laune wohl getrübt. »Wie oft soll ich dir noch sagen«, murrte er, »dass du mich Ray nennen sollst. Amerikaner hassen es, mit ihrem vollen Namen angesprochen zu werden. Nur Mütter und Schwule tun das.«
Sie winkte fröhlich mit dem Schuh. »Ich glaube, ich kenne die Laus, die dir über die Leber gelaufen ist. Sie wohnt im gleichen Haus wie ich.«
»Shit«, sagte er. »Auch das noch!«
»Nur keine Sorge. Von mir wirst du keine Predigt zu hören bekommen. War es wenigstens nett?«
Er nahm ihr den Schuh aus der Hand und warf ihn in den Papierkorb. »Überhaupt nicht. Sie hat sich mir förmlich aufgedrängt. Kam gestern her und wollte feilschen wegen des Landes. Na ja, irgendwie ist es dann passiert.«
Das amüsierte Ane. »Dass sie auf dich steht, wundert mich nicht. Aber was hast du dir davon versprochen? Das sieht doch jeder, dass die Frau fertig ist.«
»Ist sie tatsächlich. So eine hysterische Kuh. Die hat sich hier aufgeführt, kann ich dir sagen … Mit der konnte man überhaupt nicht reden.«
»Zum Reden hattest du sie ja wohl auch nicht eingeladen.«
»Lass uns von was anderem sprechen.«
Ane zog ihn an seinem Gürtel auf das Bett, knöpfte sein Hemd auf und massierte ihm die verspannten Schultern. Sie hatte schon mehrmals festgestellt, dass ihn das in eine entspannte Stimmung versetzte.
»Weißt du, was sie mir vorhin erzählt hat«, kicherte sie.
»Wer?«
»Evelyn.«
»Wollten wir das Thema nicht fallen lassen?«
Ane knetete seine Schultern wie einen Teig. »Sie hatte vorhin einen hysterischen Anfall. Hat behauptet, du würdest gar kein Hotel bauen wollen, sondern Wälder roden. Sie war völlig außer Atem und …«
Sie merkte, wie sich seine Muskeln anspannten. Er drehte sich halb zu ihr um und sagte: »Da gibt es etwas, das ich dir erklären muss.«
Ane forschte in Raymonds Gesicht, und innerhalb einer Sekunde erkannte sie die Wahrheit. Vor Schreck brachte sie keinen Ton heraus.
»Nun guck nicht wie ein Huhn, wenn’s donnert«, schimpfte er mit dem Ärger des Ertappten. »Ja, ich will den Wald abholzen, na und? Bäume wachsen nach, das ist das einzig Gute an ihnen. Und sie bringen Geld, kein Hotel bringt so viel Geld. Hast du ernsthaft geglaubt, ich würde deiner Sippe mehrere Millionen zahlen für ein Stück Land, auf dem sich nur Tarzan wohlfühlen würde? Lianen! Mücken! Flughunde! Wer braucht die denn! Bäume sind ein Geschäft. Alles ist heute ein Geschäft. Fische sind ein Geschäft, Schweine, Tomaten, menschliche Organe, Musik, Fernsehen, Haarwuchs, Fruchtbarkeit, neuerdings sogar Freiheit. Und Schönheit auch, oder warum willst du wohl sonst unbedingt Model werden! Bei mir sind es Bäume. Ich mache, was ich will. So einfach ist das.«
So einfach war das also! Ane
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