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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Verhalten ihrer Freundin in Augenschein nahm, umso deutlicher stellte sie fest, dass Ili überhaupt nicht ihre Freundin war: Von sich aus beteuerte Ili nie ihre Freundschaft, das musste Moana stets aus ihr herauspressen, Ilis Geschenke an sie – Vogelfedern, eine Schale mit Blütenblättern – waren lächerlich, und dass sie mit anderen Mädchen während der Schulpausen lachte und spielte, Mädchen, die Moana nicht leiden konnte, war geradezu beleidigend. Nach und nach überprüfte sie die Vorwürfe, die Ivana gegen Ili erhob, auf ihre Richtigkeit: Ili war in der Tat undankbar, und sie war ungehorsam gegen sie als Ältere.
    »So fing es auch bei Tristan an«, berichtete Ivana. »Er dankte uns die Freundlichkeit, mit der wir ihn in der Familie
aufnahmen, indem er Tuila verführte und deinen Vater verriet. Er akzeptierte Tupu nie als Familienoberhaupt, sondern machte, was er wollte.«
    Immer wieder, bei jeder kleinen Geste, die ihr an Ili nicht passte, begann dieser Satz ihrer Mutter in Moana zu arbeiten: Heute lässt sie sich mit ein paar Schülerinnen ein, die gegen dich sind, und morgen lässt sie sich mit deinen Todfeinden ein.
    Als in Palauli eine fiafia für zwölfjährige Jungen und Mädchen gegeben wurde, damit sie ihre Tanzkünste üben könnten, war Moana Feuer und Flamme. Ihre unruhige Art passte gut zum Tanzen, und nicht von ungefähr zählte sie zu den besten jugendlichen Tänzerinnen der Gegend. Ihr Ziel war es, eines Tages eine taupou zu werden, eine Dorfjungfrau, der höchste Bedeutung in der Dorfhierarchie und im Ritus bei Festen und Feiern zukam. Taupous blieben ein paar Jahre im Amt und wurden auch danach hoch geehrt. Glücklicherweise mussten sie nicht dauerhaft Jungfrauen bleiben, denn Moana genoss die bewundernden Blicke der Jungen zu sehr, als dass sie ihnen lange widerstanden hätte.
    Ein Junge hatte es ihr besonders angetan. Er war der beste Fischfänger seines Alters und hatte bereits eine Riesenschildkröte erlegt, eine Herausforderung, der sich sonst nur Jungmänner stellten.
    Auf dem Fest umtanzte sie ihn wie ein balzender Paradiesvogel und warf ihm ihre ola-ola um den Hals. Er jedoch sah immerzu Ili an, die sich bei weitem nicht so kunstfertig bewegen konnte wie Moana. Er ging zu ihr, sprach sie an, und während sie in einem großen Bogen um das Feuer herumschlenderten und sich unter dem Klang der Trommeln unterhielten, folgte Moana ihnen mit den Blicken.
    Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie stürzte auf Ili zu und gab ihr einen Stoß gegen die Brust, so dass sie zu Boden fiel.

    »Das ist nicht zu glauben!«, schrie Moana. »Die ola-ola , die er trägt, ist von mir . Du darfst dich nicht mit ihm unterhalten.«
    Der Junge nahm die Blumenkette ab und gab sie ihr zurück. Moana presste die Lippen aufeinander.
    »Meine Mutter hatte Recht«, schleuderte sie Ili entgegen. »Du bist eine Verräterin. Ich hasse dich, Ili von Arnsberg, und ich hoffe, dass es dir ergeht wie deinem Vater.«
    Ili unternahm am nächsten Tag einen erfolglosen Versuch, sich mit Moana zu versöhnen, doch danach ließ sie es auf sich beruhen. Moana war anstrengend, und Ili glaubte, die Zeit würde alles wieder in Ordnung bringen.
     
    Vier Wochen vor Ilis zwanzigstem Geburtstag, im November 1934, lag Tuila im Sterben. Sie atmete schwer. Keine Salbe und kein Wildkräutertee aus den Bergen konnten ihr noch helfen.
    »Vor zwanzig Jahren habe ich deinen Vater verloren«, keuchte sie. »Eine Ewigkeit. Ich sollte ihn nicht mehr lange warten lassen.«
    Sie hatte sich, wie Vaonila es prophezeit hatte, zu Tode geschuftet. Jeden Tag war sie in die Plantage gegangen, hatte ungenutzte Flächen von Gestrüpp befreit, hatte gegraben und gepflanzt und geschnitten und geerntet, hatte gepackt und verladen und war jedem Problem sofort nachgegangen. Obwohl Ili ihr in den letzten Jahren tüchtig zur Hand gegangen war, lag die Hauptlast immer auf Tuilas Schultern. Manchmal war es Ili so vorgekommen, als wolle ihre Mutter es nicht anders, als brauche sie diese vom frühen Morgen bis späten Abend ausgefüllten Stunden voller Papayas. Wenn sie ihre Arbeit einmal unterbrach, dann nur, um Ili Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen.
    »Sieh mal«, sagte sie, »du hattest mich zwei Jahrzehnte
lang für dich und er nur ein paar Monate. Es ist gut so, wie es jetzt kommt.«
    Sie starb still und mit einem Lächeln auf den Lippen.
    Ili wollte sie natürlich in Tristans Grab bestatten, aber Ivana benutzte ein weiteres Mal ihren

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