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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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eröffnet hatte und vom dicken Malietama Opalani und seinem kleinen Sohn Benjamin, den alle nur Ben nannten, betrieben wurde. Auf dem Rückweg ging sie dann in Palauli vorbei und verdrehte den Männern den Kopf. Als ehemalige taupou genoss sie den Vorzug, die Versammlungsorte der Männer betreten zu dürfen, wo sie Späße mit ihnen machte – was sie bei den meisten Frauen, die waschen, Muscheln suchen und das fale aufräumen mussten, und die keine Möglichkeit hatten, auf ihre Männer aufzupassen, in Verruf brachte. Dabei achtete sie allerdings darauf, nicht zu weit zu gehen, und es wurde niemals ein Fall bekannt, in dem ein Samoaner es geschafft hätte, sie zu erobern.

    Ili hingegen war nicht ganz so hübsch wie Moana – man zog schmale Gesichter den runden vor –, und die Größe ihres Besitzes wirkte nicht nur anziehend. Jeder, der sie sah, ahnte, wie hart sie arbeiten musste, um ihr Land und das Haus zu erhalten, und das Gleiche käme natürlich auf jeden Mann zu, der sie heiratete. Also, wieso hätte man sie zur Frau nehmen sollen, wenn gleich nebenan eine andere wohnte, der genauso viel Land gehörte, die aber nichts tun musste? Schon darum war die Anzahl von Ilis Verehrern weit geringer als die von Moana.
    Trotzdem gab es Verehrer. Ein junger Dörfler aus Palauli versuchte, sich dadurch zu empfehlen, dass er ihr jeden Sonntag eine Taube schoss und vorbeibrachte, und der ali’i von Gataivai, der schon zweifacher Witwer war, lockte mit der Aussicht, dass sie als Häuptlingsfrau künftig nicht mehr selbst in der Plantage arbeiten müsste. Ili war durchaus empfänglich für solche Offerten. Sie lebte ja ziemlich allein, von der arroganten, launischen Moana und den gelegentlichen Kontakten zu Erntearbeitern und Kaufleuten einmal abgesehen. Geschenke und Angebote zu bekommen war für sie so, als ob sie einen kurzen Augenblick lang ihr Leben verließ, das aus viel Arbeit und wenig Gefühlen bestand, und in ein anderes Leben eintauchte. Manchmal, wenn sie morgens aus dem Fenster auf die Plantage schaute, war sie dieses Anblicks müde, und manchmal verabscheute sie die Papayas regelrecht. Aber wenn es dann darum ging, eine Offerte anzunehmen und die Arbeit hinter sich zu lassen oder auch nur mit jemandem zu teilen, wurde es ihr schwer ums Herz und sie machte einen Rückzieher.
    Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, dass Moana nicht lieben könne und deswegen keinen Mann finde. Inzwischen hielt sie es aber für möglich, dass ihre Cousine ähnlich empfand wie sie. Sie beide, Ili und Moana, waren im Papaya-Palast
in einer eigenen Welt aufgewachsen, nicht völlig isoliert zwar, aber dem normalen Dorfleben entzogen. Sie hatten sich nie – wie noch ihre Mütter – einem Familienoberhaupt unterordnen müssen, hatten nie die Gemeinschaftskultur eines Dorfes miterlebt, hatten nie geteilt. Was sie besaßen, war ihr Eigentum, nicht das des ganzen Dorfes, und was sie für ihr Leben entschieden, mussten sie vor keinem Häuptling und keinem traditionell übergeordneten Ehemann rechtfertigen. Diese Freiheit aufzugeben, ja, her zugeben, war beinahe undenkbar geworden.
    An einem frühen, klaren Oktobermorgen 1939 geschah etwas Ungeheuerliches, etwas, das eine Veränderung der statischen Verhältnisse andeutete: Es war Erntezeit, und Moana betrat die Plantage. Sie sammelte ein paar Äste auf, die bei der Ernte der Papayas abknickten und zu Boden fielen, fegte sie auf den Haufen, kam zurück und arbeitete weiter. Nicht, dass sie sich übernahm – sie trottete so langsam umher wie eine Schildkröte –, aber allein der Umstand, dass sie überhaupt etwas arbeitete, war so ungewöhnlich, dass Ili zuerst ihren Augen nicht traute. Sie überlegte, ob sie Moana ansprechen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Ihr Verhältnis zueinander war so kompliziert und fragil, dass ein falsches Wort oder eine falsche Geste Moana wieder in ihren Schützengraben treiben konnte. Daher machte Ili einen Bogen um ihre Cousine und beschäftigte sich in einem anderen Teil der Pflanzung.
    Als sie später zurückkam, arbeitete Moana immer noch, doch Ili fiel auf, dass sie sich wie zuvor im gleichen Areal bewegte. Die Stöckchen, die sie sammelte, wurden von Mal zu Mal kleiner – ebenso wie der Nutzen ihrer Tätigkeit. Erst da kam Ili auf den Gedanken, dass kein Friedensangebot und keine Langeweile hinter der Arbeit steckte, sondern etwas anderes. Sie beobachtete Moana eine Weile, bis ihr auffiel, dass sie gelegentlich Blicke mit einem

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