Der Duft der grünen Papaya
Einfluss auf die Neuseeländer und erwirkte, dass Tuila nicht auf dem Friedhof der Europäer zur letzten Ruhe gebettet werden durfte.
Es stellte sich heraus, dass Tuilas eiserne und sparsame Bewirtschaftung der Plantage Früchte getragen hatte, und zwar nicht nur in Form von Papayas, sondern auch in Form von Münzen. Trotz der Tatsache, dass Ivana jedes Jahr die Hälfte der Ernteeinnahmen erhielt und Tuila die Aufwendungen für die Plantage allein bezahlen musste, war es ihr in den vergangenen fünfzehn Jahren gelungen, eintausend Pfund zusammenzutragen.
Ili weinte eine ganze Woche, nicht nur um ihre Mutter, sondern auch ein wenig aus Angst vor dem, was auf sie zukommen würde, und aus Angst vor Ivana. Diese Frau hatte ihr nie direkt etwas angetan, hatte sie noch nicht einmal berührt, geschweige denn Tuilas und ihre Wohnung betreten. Dennoch lag der Schatten Ivanas über dem Papaya-Palast. Wenn sie sich begegneten, sprachen sie kaum miteinander, aber wenn Ivana merkte, dass Ili in der Nähe war, sagte sie übertrieben laut zu ihrer Tochter: »Tuila würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie sähe, wie der Garten verkommt.« Oder: »Bald jährt sich der Tag, an dem dein Vater ermordet wurde.«
Nur einmal im Jahr kam es zu einer kurzen Unterhaltung, immer dann, wenn die Gewinne aus der Plantage zu verteilen waren. Genau am letzten Sonntag im Oktober breitete Ivana eine Matte im Garten aus und erwartete Ili mit der Abrechnung. Sie prüfte die Zahlen, so weit ihr Begriffsvermögen das zuließ, beanstandete dies und jenes,
beklagte sich auch nach Rekordernten über die, wie sie es nannte, schäbigen paar Pfund, und kehrte in ihr Haus zurück, um genau ein Jahr später wiederzukommen.
Mit Moana war es anders. Seit dem Vorfall bei der fiafia vor einigen Jahren hatten sie nie wieder wie Freundinnen miteinander gesprochen, gingen sich jedoch auch nicht aus dem Weg. Moana fand gelegentlich ein paar Worte über belanglose Dinge. Sie sprach immer kühl und ein wenig von oben herab mit Ili, und empfahl ihr zum Beispiel dringend, eine Salbe aus Aloe gegen ihre von der Arbeit rissigen Hände zu nehmen, und als sie für zwei Jahre zur taupou von Palauli gewählt wurde, hatte Moana ihr Lieblingsthema gefunden. Von Jahr zu Jahr jedoch war für Ili stärker spürbar, auf welch fruchtbaren Boden Ivanas giftige Bemerkungen bei ihrer Tochter fielen, und Moana wurde ihrer Mutter immer ähnlicher.
Im Jahr 1938 starb Ivana. Ili war erleichtert, auch wenn ihr dieses Gefühl ein schlechtes Gewissen bereitete. Sie ging am nächsten Tag nicht in die Plantage, sondern zog ein schönes dunkelblaues Tuch an, bastelte sich eine ola-ola aus lila Blüten, steckte ihr langes schwarzes Haar zu einem lockeren Knoten zusammen, verteilte einen Tropfen Kokosöl über ihr immer noch kleines, rundes Gesicht und schlüpfte in ein Paar Sandalen, die ihre Mutter bei feierlichen Gelegenheiten getragen hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel, seufzte und ging die paar Schritte hinüber zu Moana.
Als ihre Cousine die Tür öffnete, wirkte sie einen Moment lang überrascht, ja, entsetzt. Ihr Blick sagte: Ich hätte dich kaum wiedererkannt, aber ihre Zunge fing sich schnell.
»Was willst du?«, fragte sie.
Ili wusste, wie sich eine junge Frau fühlt, die ihre Mutter verloren hat und erst einmal nicht weiß, wie es weitergehen
soll. Deswegen war sie gekommen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, kam ihr Moana zuvor: »Bist du zufrieden, ja? Denk bloß nicht, dass sich hier irgendetwas ändert.«
Ein ganzes Jahr lang änderte sich tatsächlich nichts, außer natürlich, dass nun Moana auf der Matte im Garten saß, wenn der Tag der Gewinnabrechnung kam. Plötzlich jedoch deutete sich eine Veränderung an.
Sie waren beide Ende zwanzig, und die ersten männlichen Bewerber hatte es bereits vor zehn Jahren gegeben. Vor allem Moana war bei den jungen Insulanern begehrt. Sie war eine schöne Frau, und sie führte ein bequemes Leben, wie es sich sonst vielleicht nur eine Hand voll anderer samoanischer Frauen leisten konnten. Ihr Tagwerk bestand daraus, morgens in der Bucht schwimmen zu gehen, etwas Obst für ihr Frühstück zu schneiden und danach aus purer Langeweile Matten zu flechten, die sie auf einen Stapel legte und nie benutzte. Manchmal tanzte sie durch den Garten, einfach so, ohne Musik. Ihre Nahrung suchte sie sich nicht selbst aus Meer und Wald, sondern marschierte jeden Tag mehrere Meilen zum ersten richtigen Lebensmittelladen, der auf Savaii
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