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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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schwierig, ihr alles recht zu machen. Entweder war man ihr zu langsam oder man redete zu viel oder man war zu artig oder zu feige. Der Tag hatte nicht genug Stunden für sie, die Schule fand sie überflüssig, die Missionare langweilig. Sie war ständig dabei, irgendetwas zu tun, und wenn sie stillsitzen musste, zupfte sie an ihrem Kleid herum oder an den Lippen. Ihre Vorschläge, was man als Nächstes spielen könnte, hatten stets Vorrang vor denen Ilis, und sie wurde nicht müde zu betonen, dass sie die Ältere von ihnen war. Mit Tuila sprach Moana wenig, und Ili verstand nicht, warum das so war. Doch was Ili am meisten störte, waren die Fragen, die Moana ihr oft stellte. Es waren immer dieselben Fragen:
    »Du magst mich doch, Ili?«
    »Ja, natürlich.«
    »Du magst mich wirklich, ja?«
    »Ja.«
    »Ich bin deine beste Freundin?«
    »Wer sonst?«
    »Eine von den Mädchen aus der Schule vielleicht? Silia? Oder Tauvaa oder …«
    »Nein, du bist meine beste Freundin.«
    »Ich, ja?«
    »Ja, du!«
    Ili war immer froh, wenn sie diese Gespräche hinter sich gebracht und ihre Ruhe hatte – für die nächsten vier Wochen. Dann ging alles wieder von vorn los, und manchmal war ihr danach, Moana eine Antwort zu geben, die ihr nicht gefallen würde.

    Trotzdem verbrachten die beiden Mädchen jeden Tag mehrere Stunden miteinander. Einen einzigen Bereich durften sie allerdings nicht teilen: Wenn Ili mit zu Moana ins Haus wollte, wurde sie von Ivana energisch weggeschickt.
    Einmal, als Ivana nicht zu Hause war, wurde Ili von ihrer Cousine ins Haus gelockt. »Nun komm schon, was soll schon passieren, sie ist nicht da. Komm, ich will dir zeigen, was ich gestern geschenkt bekommen habe.«
    Moana zeigte ihr ohnehin mindestens dreimal in der Woche, was sie Neues geschenkt bekommen hatte, also warum sollte Ili deswegen ein Tabu brechen? Doch Moana quengelte solange herum, bis Ili nachgab und zum ersten Mal jenen Flügel des Hauses betrat, der für sie verboten war. Im Grunde gab es nichts Besonderes zu sehen, außer dass es viel mehr Matten und Stoffe gab, dafür weniger Arbeitsgeräte. Moana zeigte ihr eine gekaufte Halskette aus schönen Muscheln, die man sich mit etwas Mühe auch an der Bucht hätte zusammensuchen können, sowie ein Tuch in einem wirklich atemberaubenden Blau. Als Ili es sich an den Körper hielt, sagte Moana: »Nein. Nein. Das steht dir nicht. Deine Haut, weißt du?«
    »Was ist mit meiner Haut?«
    »Sie ist zu hell. Du siehst beinahe aus wie eine papalagi .«
    »Bin ich aber nicht.«
    »Das sagst du! Meine Mutter sagt, du bist keine von uns.«
    »Ich lebe hier, ich esse hier, ich gehe hier zur Schule und ich spiele mit dir. Also bin ich eine von euch.«
    »Wie du meinst«, sagte Moana und zuckte mit den Schultern. »Trotzdem. Das Tuch steht dir nicht.«
    »Was steht mir denn?«
    »Die ausgebleichten Dinger, die du immer trägst. Irgendwie passen sie zu dir.«

    Ili hielt sich der Höflichkeit halber noch eine Weile mit der Betrachtung von Moanas Perlmuttketten und Haarspangen auf, bis plötzlich Ivana vor ihr stand. Noch nie zuvor waren ihr bei Moanas Mutter die tiefen Falten zu beiden Seiten der Nase aufgefallen und die hohen, hervorstehenden Wangenknochen. Wie ein Geist blickte die Frau auf sie hinunter.
    »Warum bist du hier? Habe ich dir nicht verboten, mein Haus zu betreten? Keiner von denen, die zu Tristan von Arnsberg gehören, darf mein Haus betreten. Weißt du, was er getan hat, dein Vater? Was er Moanas Vater angetan hat?«
    Sie hielt einen Fisch hoch, den sie an der Bucht gefangen hatte, und schleuderte ihn gegen einen Türrahmen, wieder und wieder, bis das Blut spritzte und Ili traf.
    »Das«, sagte Ivana, »das hat er ihm angetan.«
    Ili rannte hinaus. Sie fiel hin und schlug sich das Knie auf, stand auf und lief weiter, als sei ein Ungeheuer hinter ihr her.
    Moana befürchtete, von ihrer Mutter getadelt zu werden oder, noch schlimmer, eine Ohrfeige zu bekommen. Das war zwar noch nie der Fall gewesen, aber so wie jetzt hatte sie ihre Mutter auch noch nie erlebt, mit aufgerissenen Augen und einer Brust, die sich hob und senkte wie schwerer Wellengang.
    Glücklicherweise geschah ihr nichts dergleichen. Ivana beruhigte sich schnell wieder und drückte Moanas Kopf gegen ihren Unterleib.
    »Es tut mir Leid, dass ich sie hier hereingebracht habe«, sagte Moana. »Aber sie ist doch meine einzige Freundin.«
    Ivana grinste. »Ja, das denkst du jetzt, meine Tochter. Aber warte ab. Es ist nur eine Frage der

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