Der Duft der grünen Papaya
die ihr bei der Gartenarbeit oder dem Kochen zusahen, schätzten sie stets auf Anfang bis Mitte siebzig. Trotzdem konnte es auch ihr zu viel werden, vor allem, wenn Fremde im Haus waren. Gäste machten Arbeit und waren auch sonst anstrengend. Vor allem Ehepaare. Ehepaare stritten entweder miteinander oder quasselten einem das Ohr ab. Das letzte Paar, dem sie das Zimmer vermietet hatte – zum Ende der letzten Saison Anfang Oktober –, war tagelang mit einem Fotoapparat um sie herumgelaufen und hatte am Ende sogar die Dreistigkeit besessen, sie zu fragen, ob sie sich nicht ein wenig »ursprünglicher«
zurechtmachen könnte, sprich, ihr Oberteil ausziehen würde. »Früher liefen Samoaner oben ohne herum«, hatte der Mann gesagt. Und seine Frau fügte hinzu: »Sie haben sich zu sehr verwestlichen lassen, meine Liebe.« Ili antwortete ihnen: »Sobald Sie beide nur mit Hirschfell bekleidet herumlaufen wie Ihre Ahnen, ziehe ich auch meine Bluse aus.« Das Ehepaar verließ am nächsten Morgen ihr Haus.
Und nun sollte einer von Anes ausländischen Liebhabern ihr auf die Nerven gehen? »Bitte versteh mich«, sagte Ili und überging ihren eigenen Vorschlag, den Gast bei Moana einzuquartieren. »Die Ernte war anstrengend. Die Arbeiter mussten beaufsichtigt werden, die Verkäufe überwacht, Konditionen ausgehandelt …«
»Vielleicht sollten wir verkaufen.«
»Wie bitte?«
»Es gibt in Apia jetzt ein schönes Heim, wo Großmutter und du eure letzten Jahre genießen könntet.«
»Ich kann sie auch hier genießen«, gab Ili ärgerlich zurück.
»Aber dort würdest du betreut werden. Sieh mal, hier musst du kochen, dich um die Plantage kümmern, das Haus fegen und alle diese Dinge.«
»Diese Dinge machen mir Freude. Ich koche gerne.«
»Und was ist, wenn du das eines Tages nicht mehr schaffst? Du könntest ja auch unglücklich stürzen oder dich an deinem alten Ofen verbrennen oder …«
»Oder von Marsmenschen entführt werden«, ergänzte Ili bissig. Sie konnte nicht glauben, dass Ane mit einem solchen Vorschlag ankam. Sie konnte das alles einfach nicht ernst nehmen.
»Jetzt machst du Scherze darüber, Großtante, aber es könnte so kommen. Und wenn niemand in der Nähe ist? Was dann?«
»Dann«, seufzte Ili, »liege ich lieber eine Stunde unter Schmerzen dort, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, als fünf Jahre in einem Heim, in dem es nach Putzmittel und Creme riecht.«
»Trotzdem«, beharrte Ane. »Wir sollten ernsthaft überlegen, ob wir unser Haus und die Plantage nicht verkaufen. Und unser übriges Land auch.«
Ili presste die Lippen zusammen.
Es ist mein Haus und mein Land, dachte sie. Sie haben es mir gestohlen, deine Großmutter, deine ganze Familie. Und du irgendwie auch.
Ilis Kopf zitterte. Ihr lagen eine Menge Erwiderungen auf der Zunge, aber stattdessen sagte sie: »Du verpasst deine Fähre, Ane. Es ist besser, du gehst jetzt.«
Es verging kein Tag in Ilis Leben, an dem sie nicht wenigstens einmal durch die Papayaplantage streifte. Für jemanden, der für diese Früchte so wenig Sympathie aufbringen konnte wie sie, war das ein ziemlich ungewöhnliches Verhalten, zumindest außerhalb der Reifungszeit oder Ernte. Jetzt, wo die Papayas gepflückt waren, hätte sie die Plantage ohne weiteres sich selbst überlassen können. In den nächsten Monaten würde ausreichend Regen fallen, jeden Tag drei bis vier Stunden, manchmal sogar ganze Tage hindurch. Die warmen Schauer reinigten die Luft, tränkten den Boden und hielten die Bäume sattgrün. Die Papayas ruhten.
Ili jedoch ruhte nie. Nicht, dass sie große Eile an den Tag gelegt hätte, dies oder jenes zu erledigen, so wenig wie man einem Uhrwerk Eile unterstellen würde. Sie konnte nur nicht ohne Beschäftigung sein. Nachdem sie die Vögel versorgt hatte, bereitete sie gewöhnlich ihr Frühstück zu, meistens aus Brotfrüchten, die in Kokosmilch getunkt wurden, etwas Ananas und eine Tasse Tee. Sie liebte jedoch
auch französische Mirabellenmarmelade, seit ein Gast ihr vor Jahren diese geschenkt hatte, und wann immer sie sie irgendwo ergattern konnte, kaufte sie sich zwei oder drei Gläser. Die kleinen Einkäufe erledigte sie immer noch selbst. Dazu schnürte sie sich einen Korb auf den Rücken und machte sich gemächlich auf den Fußmarsch nach Salelologa, einem größeren Dorf an der Ostseite, wo auch die Fähren nach Apia an- und ablegten. Vor einigen Gebäuden, die teils verfallen und teils wieder aufgebaut waren, blieb sie stehen und
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