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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Sie saßen zu viert im Schrebergarten von Carstens Eltern. Es war im letzten Sommer, die Margeriten blühten, und die Spatzen hüpften auf den Ästen der Apfelbäume hin und her. Carstens Vater wendete die Grillwürste, seine Mutter füllte die Gläser mit hessischem Apfelwein. Und plötzlich – sie konnte nichts dafür – musste Evelyn weinen. Sie versuchte es natürlich zu verbergen, aber es ging nicht. Carsten legte zärtlich den Arm um sie, so dass sie sich an seiner Schulter ausweinen konnte. Sobald ihre Schwiegermutter bemerkte, was los war, stellte sie den Krug übertrieben laut auf den Tisch und rief: »Mein Gott, nun reiß dich endlich zusammen, Mädchen! Deine Sentimentalität ist wirklich zum Kotzen!«
    Evelyn verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Die hatte sie verdient. Aber wenigstens sprach diese Frau es aus. Wenigstens starrte sie keine Löcher in die Kaffeetasse wie ihre eigenen Eltern, wenn sie versuchten, das Thema möglichst zu vermeiden.
    Nach der Ohrfeige war Evelyn davongelaufen. Und Carsten?
    Carsten war ihr ein kleines Stück über das Geflecht der Wege gefolgt, hatte ihren Namen gerufen, immer wieder, und war dann stehen geblieben, ratlos, ohnmächtig.
    An jenem Tag war Evelyn zum ersten Mal erschreckend klar geworden, wie sehr sie sich von der Frau unterschied,
die sie vor nicht allzu langer Zeit noch gewesen war, und noch schmerzhafter wurde diese Erkenntnis, wenn sie an Carsten dachte. Für ihn musste der Kontrast zwischen der Evelyn, die sie jetzt war, und der Evelyn, die er einmal geheiratet hatte, immens sein.
     
    Evelyn wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als der Regen der samoanischen Nacht langsam verklang. Millionen von nassen Blättern warfen ihre Tropfen auf den saftigen Boden. Die dünne Sichel des Mondes schimmerte ab und an zwischen den Wolken hindurch und zeichnete Konturen in die Landschaft, schwarze Linien auf dunkelgrauem Grund. Fledermäuse huschten wie bewegte Punkte durch den Garten, und vier oder fünf längliche Schatten auf der Veranda deuteten Geckos an. Als die Verandatür aufging, flitzten die Schatten in die Büsche oder die Wände hoch in dunkle Winkel unter dem Dachvorsprung.
    Ilis Umriss war zu erkennen, ein kompakter schwarzer Felsblock in der Nacht. Sie kam näher, setzte sich wortlos in Evelyns Nähe und lehnte sich wie sie an einen der Pfosten, so dass sie ihr direkt in die Augen gesehen hätte, wäre es heller gewesen. Doch die beiden Körper blieben Silhouetten.
    Sie schwiegen. Langsam kamen die Geckos wieder aus ihren Winkeln hervor, und einer huschte unmittelbar neben ihnen vorbei, ohne dass er ein Geräusch verursacht hätte.
    »Ich habe Ihnen ein Tuch von drinnen mitgebracht«, sagte Ili. »Die Luft ist frisch, mitten in der Nacht.«
    Evelyn zögerte einen Moment, es anzunehmen. Sie fror tatsächlich, auf ihren Armen hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Schließlich nahm sie das Tuch wortlos entgegen und legte es sich über die Schultern.
    »Sie können es behalten, wenn Sie mögen. Ich habe viel
zu viele, die meisten kaum getragen. Dieses ist hellblau und gelb gemustert, meine Lieblingsfarben, man sieht es jetzt schlecht. Es passt zu Ihren Augen, dachte ich.«
    Ili zögerte einen Moment. Selbst im Dunkeln konnte Evelyn spüren, wie sie nach einem Anfang suchte.
    »Hören Sie, Evelyn, es tut mir Leid. Ich habe mich unmöglich benommen, und nicht genug damit, ich habe es sogar vor Dritten getan. So etwas ist mir noch nie passiert. In die Angewohnheiten meiner Gäste mische ich mich prinzipiell nicht ein, und dass ich es bei Ihnen doch getan habe … Ich wollte schreien und um mich schlagen und die ganze Welt beschimpfen. Es gab in diesem Moment plötzlich keine unschuldigen Menschen mehr, jeder tat oder sagte oder hatte etwas, das ich am liebsten kaputtgemacht hätte. Es war falsch, bitte verzeihen Sie. Deswegen bin ich hier, nicht um Sie zu belästigen. Ich konnte einfach nicht schlafen.«
    »Nur meinetwegen nicht?«, fragte Evelyn, ohne auf die Entschuldigung einzugehen.
    Ili seufzte. »Nein, nicht nur. Wissen Sie, ich will nicht rechtfertigen, wie ich mich benommen habe, aber als ich merkte, was Moana plant, und dass sie tatsächlich den Willen hat, es durchzuziehen, da brach in mir eine Welt zusammen. Das dürfen Sie ruhig wörtlich nehmen. Dies hier« – sie breitete ihre Arme aus – »ist meine Welt. Der Papaya-Palast. Die Palauli Bay. Der Mount Mafane. Savaii. Ja, vielleicht hätte ich viel früher loslassen sollen, doch nun

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