Der Duft der grünen Papaya
bin ich so alt wie manche Riesenfeige im Wald und kann nicht mehr weg. Ebenso gut könnte man mich fällen.«
Evelyn wusste nicht, ob es gut war, sich länger mit der Sache zu befassen, aber irgendetwas trieb sie dennoch dazu, vielleicht, weil sie sich den ganzen Abend über wieder mit ihrem eigenen Elend beschäftigt hatte. Ihr Kopf war müde, so wie die Augen müde werden und schmerzen, wenn sie unentwegt auf die gleiche Stelle starren.
»Warum tut sie das?«, fragte sie.
»Moana? Aus dem gleichen Grund, aus dem sie Grabsteine zerkratzt und behauptet, ich würde sie vergiften.«
»Oder Sie eine Mörderin nennt.«
Ili ging über dieses Thema hinweg. »Ihr geht es nur darum, mir einen Schlag zu versetzen.«
»Aber warum verkauft sie das Land erst jetzt? Sie hätten sie doch auch vor zehn oder zwanzig Jahren nicht ausbezahlen können, oder?«
Ili schien kurz zu überlegen. »Das stimmt schon. Allerdings läuft einem nicht jeden Tag einer über den Weg, der Land auf Savaii kaufen will. Samoa ist nicht gerade die begehrteste Ecke der Welt, allenfalls ist die Gegend um Apia interessant für Investoren. Vermutlich musste erst so ein betuchter Hotelmensch erscheinen, der Moana ein gutes Angebot machen konnte.«
»Ich frage mich«, grübelte Evelyn laut, »warum Ray Kettner ein so riesiges Gebiet wie Ihres kaufen will, wo es ihm doch bloß um ein Hotel geht, vielleicht auch zwei.«
Ili lachte verächtlich auf. »Zwei? Allein auf Moanas und meinem Land könnte er vierzig Hotels bauen, dazu kommt noch das Land vom alten Ben, das ist mein Lieferant. Er und ich sind die einzigen Insulaner, die keiner Großfamilie oder Dorfgemeinschaft angehören und damit in der Lage sind, Land zu verkaufen.«
»Ich wette, dass Ane ihn dazu überredet hat, das gesamte Land zu kaufen, obwohl auch ein Teil reichen würde.«
»Das ist Ane durchaus zuzutrauen. Was mich angeht, so werde ich gewiss nicht einfach zusehen, wie mein Haus und damit mein ganzes Leben abgerissen wird«, verkündete Ili harsch. »So leicht gebe ich nicht auf.«
Evelyn war überrascht von Ilis harter Stimme. Von Frauen ihres Alters erwartete man eine gewisse Erschöpfung, vielleicht noch Trotz und verzweifeltes Aufbegehren, jedoch
keine Entschlossenheit. Sie erinnerte sich wieder daran, was Moana behauptet hatte: Wenn es ums Land geht, kennt Ili keine Rücksicht mehr. Sie ist eine Mörderin.
Vorsichtig, weil sie Ili nicht von neuem in Rage bringen wollte, sagte sie: »Ich glaube noch immer, dass der Schlüssel zur Lösung bei Moana liegt. Sie ist verbittert über – nun ja, Sie wissen vielleicht selbst am besten, worüber, und nun möchte sie Ihnen eins auswischen, auch wenn sie sich damit selbst etwas nimmt. Wenn Sie beide sich einmal gründlich aussprechen würden …«
»Ich weiß, Sie meinen es gut, Evelyn, aber man kann sich nicht einfach mit Moana aussprechen . Irgendwo auf der Welt gibt es Echsen, die, wenn sie zubeißen, nicht wieder loslassen, was auch immer versucht wird. Sogar, wenn sie umgebracht werden, beißt ihr Kiefer sich weiterhin in das Fleisch. So ist Moana. Vor achtzig Jahren hat sie zugebissen und seither nicht wieder losgelassen. Sicher, es gab Ereignisse in unserem Leben, die … unschön waren und die wir uns mit sehr, sehr viel gutem Willen verzeihen könnten. Das allein wäre schon eine fast übermenschliche Leistung, ich will sagen, ein Wunder. Doch Moanas Fehde gegen mich steht unabhängig davon auf einem Fundament, das schon Ivana, ihre Mutter, unzerstörbar gegossen hat. Moana wurde von Kind an gegen mich aufgehetzt, kaum dass sie und ich sprechen konnten. Selbst wenn ich ihr jeden Tag meines Lebens einen Kuchen gebacken hätte, würde sie mich heute keinen Fingerbreit weniger verabscheuen, denn ich war nie etwas anderes für sie als eine Feindin, vom ersten bewussten Augenblick an bis heute.«
Evelyn schüttelte betroffen den Kopf. »Warum hat Ivana so etwas getan?«
»Weil ich Tristans und Tuilas Tochter bin.«
»Das war alles?«
»Ivana reichte es. Sie hasste alles, was mit Tristan zusammenhing,
sogar den Papaya-Palast. Was sie jedoch nicht davon abhielt, ihn für sich … Aber ich bin zu schnell, das alles passierte ja erst später. Habe ich schon erzählt, dass Tupu weiterhin sein Unwesen trieb? Wollen Sie überhaupt noch davon hören, Evelyn, nachdem ich Sie so schlecht behandelt habe?«
Evelyn überging die letzte Bemerkung. »Sie deuteten an, er wäre neben seiner zweifelhaften Karriere als Widerstandskämpfer
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