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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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kannten sich natürlich mit solchen Situationen aus, denn jedes Jahr zwischen November und März brausten Stürme über die Inseln hinweg. Die offenen fale wurden dann mit locker befestigten Matten verhängt, die genügend Wind abhielten,
um Schutz zu bieten, aber auch genügend Wind durchließen, um seiner übermächtigen Kraft nicht starr entgegenzutreten. Trotzdem konnte immer etwas passieren. Vor beinahe genau fünfundzwanzig Jahren, am 15. März 1889, war ein gewaltiger Taifun über Samoa hergefallen, hatte Schneisen der Zerstörung in den Wald geschlagen, Kokospalmen wie Zündhölzer geknickt, zwei deutsche Kanonenboote gegen die Riffe geschmettert, und am Ende waren mehr als vierzig Matrosen und neunzehn Insulaner tot, ertrunken oder erschlagen gewesen. Ein Mahnmal in Apia erinnerte noch heute an diesen katastrophalen Tag, dessen trauriges Jubiläum nahte und vom Wetter scheinbar festlich begangen wurde.
    Tristan lenkte sich eine Weile damit ab, die verstreuten Papiere aufzulesen und zu ordnen. Für den Brief an seine Eltern fand er allerdings keine Konzentration mehr. Immer wieder stand er auf, ging mal zum Fenster an der Seeseite, mal zum anderen. Durch die nachtgleiche Dunkelheit beobachtete er, wie sich mannshohe Sturzseen gegen das Polizeiboot warfen und die schmale, sandige Küste unter sich begruben.
    Gut, Palauli lag weit genug vom Meer entfernt, um von der Seeseite nicht überflutet zu werden, und die Palmen wuchsen in ausreichendem Abstand von den Häusern. Aber der Wind – und die Sturzbäche aus den Bergen!
    Tristan hielt es nicht mehr aus. In Salelologa schien, so weit er das erkennen konnte, alles in Ordnung zu sein. Er konnte in seiner Stube nichts tun, als aus dem Fenster zu starren und zu hoffen und zu warten. Vielleicht noch Stunden. Dabei lag die Straße nach Palauli direkt vor ihm. Ein Pferd konnte er bei diesem Wetter nicht nehmen, es würde ihn abwerfen. Er müsste also laufen, aber wenn es nicht anders ging …
    Er zog den Mantel über, stülpte sich die Mütze tief in die
Stirn und ging hinaus. Der Sturm heulte ihm entgegen, und der Pazifik brüllte. Die Erde war schlammig und klebrig, jeder Schritt war für Tristan so, als ob er eine Eisenkugel hinter sich herschleppte. Nur mühsam kam er voran, den Oberkörper gebeugt. Ab und zu sah er auf und blinzelte durch die Finsternis. Tausende nasse, welke Blätter flogen wie Schmetterlingsschwärme vom Boden hoch und hefteten sich an Tristans Mantel und Gesicht. Seine Mütze hatte er schon längst verloren.
    Nach einer endlos scheinenden Zeit kam er an die Biegung, die den Ortsanfang von Palauli markierte. Durch den Regen konnte er das Dorf nicht deutlich erkennen, kaum sah man die Hand vor Augen. Die Einheimischen hatten natürlich trotz der Dunkelheit alle Lichter in ihren Hütten gelöscht, denn allzu schnell konnte eine Flamme bei diesem Wind die aus Holz und trockenen Palmwedeln gebauten fale in Brand setzen.
    Endlich hörte er Stimmen, und ein paar Silhouetten taumelten nur wenige Schritte von ihm entfernt durch den Schlamm. Er stürzte auf sie zu, und da sah er auch schon das schwer beschädigte Haus von Tuilas Familie. Eine Kokospalme war vom Orkan entwurzelt und durch die Luft geschleudert worden, direkt auf das Dach. Die Pfosten waren unter der Last gebrochen und gesplittert, die Treppe war im Schlamm versunken. Zwei Insulaner stützten Tuilas Mutter Vaonila, ein anderer schaufelte mit den Händen ein Loch in den Boden, um Tuilas Vater zu bergen, der eingeklemmt zwischen Balken reglos im Morast lag. Immer wieder erschütterten die starken Böen die Ruine und drohten, alle und alles unter sich zu begraben.
    Vaonila war in Sicherheit, daher kniete Tristan sich neben den Dorfbewohner und half ihm dabei, Tuilas Vater zu befreien, doch nachdem er eine Weile gegraben hatte, bemerkte er, dass der alte Mann tot war. Vergeblich versuchte
Tristan, dem Dorfbewohner klar zu machen, dass alles Graben nicht mehr helfen konnte; der Mann arbeitete unbeirrbar weiter.
    Von Tuila war nichts zu sehen. Tristan hielt einige Samoaner an und fragte: »Oi fea Tuila?« , aber keiner wusste, wo sie war. In die Hütte hatte sich noch niemand getraut, denn sie konnte jeden Moment einstürzen. Ein paarmal rief er hinein, erhielt jedoch keine Antwort. Als er schon woanders suchen wollte, hörte er eine schwache Stimme rufen. Sofort kroch er ins Innere des fale , wo Balken, Äste und Palmwedel kreuz und quer lagen.
    »Tuila?«, rief er, doch die Stimme

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