Der Duft des Apfelgartens
haben. Es ist jedoch nicht nötig, ihm Ihre Geschichte zu erzählen. Viel besser ist es, Ihr Schweigen zu wahren; Ihr Geschenk an ihn ist es nur, ihm still zuzuhören. Dies erfordert vollständige Konzentration; nicht dieses halbherzige Zuhören, das wir so oft betreiben, während wir innerlich darüber nachdenken, wie wir vielleicht auf unseren eigenen Schmerz zu sprechen kommen können, oder den nächsten Ratschlag vorbereiten, um ihn in dem Moment, in dem der andere zu sprechen aufhört, anbringen zu können.
Zaghaft klopft es an der Tür. Emily legt irritiert den Federhalter weg.
»Herein«, ruft sie und dreht sich auf ihrem Stuhl um, sodass sie die Tür im Blick hat. Es ist Janna. Ihre Miene ist beunruhigt, zerknirscht und schuldbewusst zugleich. Schnell steht Emily auf, und Janna, die noch die Hand auf der Türklinke liegen hat, spricht leise, aber sehr hastig.
»Es geht um Schwester Nicola. Sie war bei mir in der Küche und saß am Tisch. Schwester Ruth sollte eine ruhige Minute für sich haben, und ich war dabei, Schwester Nicola eine Tasse Tee zu kochen, und habe mit ihr geplaudert, doch als ich mich umgedreht habe, war sie verschwunden. Ich bin in den Garten gerannt, aber keine Spur von ihr …«
Emily geht zur Tür und schaut beruhigend lächelnd in Jannas nervöses Gesicht. »Pssst, ist ja gut. Schwester Nicola ist manchmal eigensinnig und zieht gern auf kleine Expeditionen aus. Doch sie geht nie sehr weit. Haben Sie in der Kapelle nachgesehen?«
»In der Kapelle?« Jannas Miene ist verständnislos. »Aber es ist noch nicht Zeit für den Vespergottesdienst.«
»Nein, nein, doch Nicola liebt die Kapelle. Sie war schon immer ihr Lieblingsplatz, und sie ist grundsätzlich dorthin gegangen, wenn sie freie Zeit hatte. Die Leute denken, dass Nonnen ihre gesamte Zeit in der Kapelle oder im Gebet verbringen oder damit, über ihre Fehler und Schwächen nachzudenken, aber die Wahrheit ist, dass wir sehr wenig Zeit für solchen Luxus haben. Erst kürzlich habe ich einer sehr ernsthaften jungen Frau, die zur Einkehr hier war, erklärt, wenn sie ihr Gebetsleben schätze, solle sie lieber nicht einmal daran denken, Nonne zu werden.«
Während sie spricht, geht sie schon voran durch den Gang, der zu dem Vorraum vor der Kapelle führt. Vorsichtig schaut sie durch die halb offene schwere Tür aus Eichenholz in die Kapelle und winkt Janna heran, und dann stehen sie schweigend zusammen. Schwester Nicola sitzt in ihrer Bank. Irgendeine innere Freude lässt ihr rundes, blasses Gesicht strahlen; die offenen Hände hat sie ineinandergelegt, um die Gabe zu empfangen. Sie scheint auf etwas zu lauschen, das gewöhnliche Ohren nicht hören können, und Emilys Herz zieht sich vor Freude und Neid heftig zusammen. Nicola hat schon immer zu den wenigen gesegneten Seelen gehört, die im Licht leben. Sie tritt zurück und zieht Janna mit.
»Ich setze mich noch ein wenig zu ihr«, murmelt sie, »und dann bringe ich sie zurück zu Ihnen in die Küche. Laufen Sie nur zu! Alles ist gut.«
Janna huscht davon, und Emily tritt leise in die Kapelle und setzt sich auf den Platz, der der Tür am nächsten liegt. Sie sieht Nicola nicht an, sondern ist sich einfach ihrer Anwesenheit bewusst; ihre eigenen Gedanken verlaufen eher formlos weiter. So vom Glück begünstigt wie Nicola ist sie nie gewesen; sie, Emily, hat Gott immer nur von hinten gesehen.
Gott ist jene große Abwesenheit in unserem Leben, die leere Stille in unserem Inneren, der Ort, an dem wir auf die Suche gehen …
Sie hört die Worte von R. S. Thomas in ihrem Kopf und grübelt über das Paradox nach; das Bewusstsein dieser Leere ist der Beginn der Fülle. Ihre Gedanken werden zu einer kontemplativen Form des Gebets, und bald regt sich Nicola und sieht sich um. Emily steht auf und geht zu ihr. Nicola lächelt, und Emily nickt beruhigend und ermuntert sie zum Aufstehen. Sie nimmt den Stock und legt ihn in Nicolas Hand. Leise und langsam gehen sie zur Tür, die außerhalb des Abendmahls oder des stillen Gebets immer leicht angelehnt ist. Nicola hält inne, wendet sich zur Seite, um ihre Finger in das Weihwasserbecken zu tauchen, und bekreuzigt sich. Dann streckt sie lächelnd die nassen Finger nach Emily aus, die die Wassertropfen empfängt wie einen besonderen Segen. Gemeinsam gehen sie durch die Hintertür ins Haus und weiter in die Küche, wo Janna bügelt.
»Ich glaube, Nicola hätte gern eine Tasse Tee«, erklärt Emily fröhlich. »Oder, Nicola?«
»Ja.« Das Wort ist
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