Der Duft des Apfelgartens
gewesen, und er war wahrscheinlich ein ungezähmter, freier Geist, der sich nach Abenteuern in fremden Ländern sehnte, und hatte schreckliche Angst vor einer Verpflichtung gehabt. Damit hatte er wie vermutet eine Saite in Janna angeschlagen und ihren Schmerz ein wenig gelindert. Sie begann, sich ihren Vater anders vorzustellen – nicht mehr als den herzlosen Schürzenjäger, als den sie ihn immer gesehen hatte. Sie ließ ein kleines Maß an Zweifel zu, das ihr Bild von ihm weicher zeichnete. Aber es würde ein langer, schmerzhafter Prozess werden.
Als Vater Pascal die Blumen auf die Kommode stellt, spricht er lautlos ein kleines Gebet um Weisheit und Lenkung. Dann dreht er sich um, lächelt Janna zu und weist mit einer Handbewegung auf einen der Lehnsessel.
Schnell setzt sie sich. Immer noch zieht sie den langen Wollmantel fest um sich zusammen. Sie liebt diesen Raum: das vom Boden bis zur Decke reichende Bücherregal mit den in warmen Farben schimmernden Bucheinbänden, die Gemälde und Zeichnungen, die jeden Quadratzentimeter der cremeweiß gestrichenen Wände bedecken. Überall, wohin sie sieht, nimmt sie Farbe und Wärme wahr; Blattgold auf weichem braunem Leder und die tiefroten, grünen und blauen Farbtöne im Bücherregal, wo die Bücher dem Raum ihre bunten Rücken zuwenden, zarte Pastellfarben und Kohlezeichnungen und kühle Pinselstriche in dicker Ölfarbe. Und doch ist hier auch Frieden.
Mit einer Art Erleichterung sieht sie Vater Pascal an; seine Anwesenheit hier unter all seinen Bildern und Büchern ist notwendig für sie. Hier bei ihm fühlt sie sich sicher, doch das rührt von ihm selbst her, von irgendetwas, das er in seinem Inneren trägt. Wie üblich ist er ganz in Schwarz gekleidet, schwarzer Rollkragenpullover, alte Jeans und dicke Wollsocken an den Füßen. Er wirkt wie ein Künstler oder Jazzmusiker, und doch strahlt er eine natürliche Autorität und Zuversicht aus.
»Heute Morgen bin ich wieder in den Wohnwagen gezogen«, erklärt sie ihm triumphierend. »Ich habe im Haus geschlafen, seit der Schnee kam, weil Mutter Magda sich Sorgen gemacht hat, aber wir bekommen heute noch Gäste, daher bin ich wieder nach draußen gegangen.«
Sie lächelt leise und erinnert sich, wie sie bei dem Gedanken, mitten unter den Gästen zu sein, in Panik geraten ist, bei der Vorstellung, auf dem Treppenabsatz mit ihnen zusammenzutreffen oder vor dem Bad Schlange zu stehen. Da hätte sie sich fehl am Platz gefühlt. In ihrem Wohnwagen im Obstgarten, der größtenteils durch die Bäume verdeckt wird, ist sie viel besser aufgehoben und kann das Haus unauffällig betreten und verlassen. Daher hat sie gleich nach dem Aufwachen ihre Sachen in die Einkaufstasche gepackt, das Bett abgezogen und Bettwäsche und Handtücher unten im Hauswirtschaftsraum in die Waschmaschine gesteckt. Dann trat sie in den kalten, hellen Morgen hinaus. Unter den Bäumen im Obstgarten lag noch Schnee, und im Wohnwagen war es eiskalt, daher zündete sie den kleinen Gasofen an, damit er den Wagen ein wenig aufheizte, während sie das Frühstück zubereiten ging. Ein merkwürdiges Gefühl von Freiheit, von Leichtigkeit erfüllte sie, und aus diesem Grund hat sie die Schneeglöckchen und die ersten Narzissen gepflückt und beschlossen, ins Dorf zu Vater Pascal hinunterzulaufen, sobald das Frühstück abgeräumt war.
»Wie werden Sie ohne Penny klarkommen?«, fragt er gerade. »Es geht ihr immer noch ziemlich schlecht.«
»Schwierig ist das schon«, gesteht sie. »Mutter Magda musste die Gäste bitten, sich in Zukunft selbst Bettwäsche und Handtücher mitzubringen. Das gefällt ihr natürlich gar nicht, aber anders werden wir nicht damit fertig. Es ist einfach zu viel zu tun. Das Haus ist groß, nicht wahr? Es war ein ganz unheimliches Gefühl, dort nachts allein zu sein, denn die Schwestern sind ja in ihrem Wohntrakt für sich. Zum Glück kommen heute nur zwei Personen, also dürfte das nicht so schwer werden. Dossie war aber auch großartig. Sie hat alle möglichen Mahlzeiten vorgekocht, die ich nur aus dem Tiefkühlschrank zu nehmen brauche. Doch ich habe keine Ahnung, wie wir das hinbekommen sollen, wenn viele Gäste auf einmal kommen.«
»Nein«, pflichtet er ihr nachdenklich bei. »Inzwischen bauen so viele Menschen auf Chi-Meur, aber die Schwestern haben nur noch so wenig Kraft. Wir müssen darum beten, dass sich eine Lösung auftut.«
Er wirkt betrübt, und sie spürt, wie sich Befürchtungen in ihr regen. Alte Ängste steigen
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