Der Duft des Apfelgartens
auch gern mitgegangen. Aber bald ist es Zeit zum Vespergebet und zum Abendessen. Mit Clem und Jakey zusammen kommt es ihr vor, als hätte sie eine Familie, nur dass sie keine Verantwortung zu tragen braucht. Wenn Jakey auf ihrem Schoß sitzt und sich bei ihr anlehnt und sie die Wange an sein Köpfchen legt, spürt sie eine große Sehnsucht. Ein tiefes, tiefes Verlangen nach einem eigenen Kind. Und doch macht diese Aussicht ihr Angst. Sie erlebt, wie Clem sich Tag und Nacht für Jakey aufopfert, und fragt sich, ob sie je den Mut aufbringen wird, so vollkommen in einer Beziehung oder einem Kind aufzugehen. Oh, aber sie liebt Jakey. Rein mit der Kraft seiner kleinen Persönlichkeit hat er es schließlich geschafft, ihr das Little Miss Sunshine -Buch abzuschwatzen. Er liebt die Geschichte über den mürrischen König, der nicht lächeln kann und in Unglückland lebt, und die kleine Miss Sunshine, die ihm das Lachen beibringt.
Mit geschlossenen Augen sitzt sie da und erinnert sich an ihre Mutter. »Du bist meine kleine Miss Sunshine«, pflegte sie zu sagen. »Egal, wie schlimm es kommt, du kannst mich immer zum Lachen bringen.«
»Ich brauche dasss Buch unbedingt «, sagte Jakey immer wieder, lehnte sich an ihr Knie und sah sie gewinnend an. »Dann könnte Daddy esss mir zum Einssslafen vorlesen. Ich brauche esss wirklich, Janna.«
»Aber ist es nicht schön, es hier zu haben, als große Ausnahme, Liebchen?«, konterte sie dann. »Dann ist es etwas ganz Besonderes.«
»Ich könnte esss ja mitbringen, wenn ich dich besuchen komme«, lautete stets seine Antwort. »Dann könnte ich beidesss haben.«
»Aber wäre es dann noch etwas Besonderes?«
»Es wäre noch besonderer. Doppelt besonders.«
Schließlich hat sie nachgegeben, und er hat das Buch triumphierend davongetragen, obwohl er es immer noch manchmal mitbringt, damit sie es ihm vorlesen kann. Doch es hat ihr echte Freude bereitet, es zu verschenken, als hätte sie etwas Kostbares weitergegeben, das sie jetzt auf eine Art mit Jakey verbindet. Oder vielleicht hat sie auch etwas Wichtiges gewonnen, indem sie es weggegeben hat. Möglicherweise hat Schwester Emily das gemeint, als sie sagte: »Wenn Sie Ihre Schätze nicht mehr brauchen, werden Sie frei sein.«
»Sie hätten es ihm nicht geben sollen«, meinte Clem. »Ich habe Sie vor seiner Überredungskunst gewarnt. Sie hätten hart bleiben sollen. Ich kann es Ihnen wieder holen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte, dass er es hat. Er liebt es. Machen Sie sich keine Gedanken, Clem.«
Schließlich hat sie noch die Peter-Hase-Tasse und den Seidenschal als Erinnerungen an ihre Kindheit und an ihre Mutter, Symbole dafür, dass sie einmal geliebt worden ist. Vielleicht sind hier auf Chi-Meur diese Symbole weniger wichtig – aber was wäre, wenn sie gehen müsste? Und wohin würde sie sich dann wenden? Janna öffnet die Augen und schlingt die Arme um die Knie. Plötzlich steigt ein Gefühl von Panik und Verlust in ihr auf.
»Mutter Magda versucht, eine andere Gruppe zu finden, die nach Chi-Meur zieht, um alles einfacher zu machen«, hat Clem ihr erklärt. »Das ist so ziemlich der letzte Versuch. Im vergangenen Jahr sind zwei Schwestern gestorben, und die Novizin, die hier lebte, fand, sie könne von größerem Nutzen sein, wenn sie sich ordinieren lässt. Für eine kleine Gemeinschaft ist es eine große Veränderung, wenn sie in zwölf Monaten drei Mitglieder verliert. Mr. Brewster hat eigentlich nur das Unvermeidliche beschleunigt. Es muss etwas unternommen werden. Vielleicht existiert ja irgendwo eine andere Gemeinschaft, die in einer ähnlichen Lage ist und sich mit uns zusammentun könnte.«
Janna steht auf, und ihr langes dunkelrotes Baumwollkleid schwingt um ihre schmalen Knöchel. Sie fasst ihre dicke, drahtige Löwenmähne oben auf dem Kopf zu einem großen Büschel zusammen, reckt sich und atmet den berauschenden Duft der Glockenblumen ein. Plötzlich gesellt sich ein neuer Klang in das Schweigen: das süße, helle Läuten zum Vespergottesdienst.
»Sie denken darüber nach«, sagt Caine. »Keine gute Zeit für einen Anruf. Ich habe dir doch vorher gesagt, dass ich besser dich anrufe. Hier sind Leute in der Nähe.« Er lächelt ein paar Dorfbewohnern zu, während er sich aus dem Pub schiebt und die Straße zur Hafenmauer überquert. »Hör mal, es bringt nichts, auf mich und Phil zu fluchen. Wir tun unser Bestes, und sie überlegen es sich … Die Sache ist die, dass sie vielleicht andere Nonnen dazu
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