Der Duft des Bösen
sicher – das konnte nur er gewesen sein. Der Fahrer trug ein dunkelgrünes Sakko, hatte Jeremys Profil und dessen glatte mausgraue Haare. Natürlich würde sie das nie irgendwo beschwören müssen. Sie schaute zu, bis das Auto in die Edgware Road eingebogen war, dann ging sie nachdenklich in ihre Küche zurück. Um elf Uhr war sie so weit, um zu ihrer Schwester aufbrechen zu können. Die Zwischenzeit hatte sie, während sie badete und sich anzog, hauptsächlich mit Spekulationen über Jeremys Pläne verbracht. Dass ein Mann vielleicht so tat, als hätte er ein Auto, während er in Wirklichkeit gar keines besaß, das konnte man fast noch verstehen. Fast unvorstellbar hingegen war es, dass einer behauptete, er hätte kein Auto, wenn das Gegenteil der Fall war, noch dazu einen großen Mercedes mit starkem Motor. Und dann noch sagen, er könne gar nicht Auto fahren?
War Jeremy in ihrer Abwesenheit im Garten gewesen und hatte anschließend den Schlüssel nicht anderthalb Mal umgedreht, sondern nur ein Mal? Er hatte es abgestritten, doch das wollte gar nichts heißen. Noch einmal überprüfte sie die Hinterhoftür samt Schlüssel und schaltete die Alarmanlage ein. Während deren Gejaule erstarb, ging sie zu ihrem Wagen hinüber, aus dessen Besitz sie kein Geheimnis machte, und fuhr nach Highgate hinauf.
17
»Ratz-Fatz«, sagte Anwar vor sich hin, während er über die Mauer zwischen dem Garten seines Wohnhauses und dem von Inez kletterte. Die Art und Weise seines Vorgehens hatte nichts Verstohlenes an sich. Dazu war er viel zu schlau. Über Anzughose und Hemd trug er einen fleckigen Maleroverall, den er selbst binnen einer Stunde mit Vergnügen voll Farbe gekleckst hatte, dazu einen Eimer mit angetrockneten Zementresten und eine Malerwalze. Auch eine Leiter leistete ihm gute Dienste. Für den Fall einer Nachfrage hatte er längst die Geschichte parat, er müsse vor einer Fassadenrenovierung die Sache abklären. Doch fragen würde ihn keiner, denn alle schauten zu dieser nachmittäglichen Feiertagsstunde Fußball. Einige hatten sogar trotz des strahlenden Sonnenscheins die Vorhänge vor die Fenster gezogen, hinter denen ihre Fernseher standen.
Sollte irgendein neugieriger Nachbar zufällig Fußball nicht für das wichtigste Element im Leben eines Briten halten und aus dem Fenster schauen, stand Anwar, der seine Künstlernatur nie verleugnen konnte, einen Moment mit dem Farbroller in der Hand da und betrachtete versunken die hintere Fassade von Inez’ Haus. Niemand schaute. Er schob seinen Schlüssel in das Schloss an der Hintertür und öffnete sie. Ein unangenehmer Gedanke hatte ihn geplagt: Irgendein Schlaumeier könnte in der Zeitspanne, die zwischen dem heutigen Tag und jenem lag, an dem er Inez’ Schlüssel zurückgebracht hatte, an dieser Tür oben und unten Riegel angebracht haben. Aber das Schloss gab ganz leicht nach, und damit war auch er beruhigt. Auf der anderen Seite steckte nicht einmal ihr Schlüssel, den er hätte durchschieben müssen.
Kaum gab die Tür nach, kaum setzte er den Fuß über die Schwelle, fing die Alarmanlage an zu jaulen. Sie war direkt hinter der Tür zur Straße an der Wand befestigt. Anwar drückte Zwei-Sechs-Vier-Sieben, und der Lärm hörte auf. Er lauschte. Da es sich um ein Reihenhaus handelte, könnten möglicherweise links und rechts Nachbarn den Alarm gehört haben. Wenn ja, würden sie auf Grund des kurzen Lärms lediglich denken, einer der Mieter sei hereingekommen, habe den Alarm ausgelöst und im Handumdrehen wieder ausgeschaltet. Für die rückwärtige Ladentür brauchte man keinen Schlüssel. Anwar ging hinein, öffnete Inez’ Schreibtisch und zog das heraus, was er kaum so leicht zu finden gewagt hatte: einen Schlüssel zu jeder Wohnung im Gebäude.
Sein Team sollte nach und nach eintreffen. Noch während er wartend im Laden stand, klingelte Julitta. Anwar ließ sie herein und zwei Minuten später auch Keefer. Flint kam als Letzter, nach fünfzehn Minuten, nur für den Fall, dass jemand sie beobachtete und sich wunderte, warum Inez plötzlich all die jungen Leute eingeladen hatte.
Wie vereinbart, sollte Anwar persönlich das Dachgeschoss übernehmen, wo der »reiche Knacker« wohnte, Julitta die Wohnung von Inez, Flint den Laden und Keefer die beiden Wohnungen in der mittleren Etage. Diese waren am unwichtigsten. Mit Abscheu registrierte Anwar, dass Keefer nach dem verbotenen Cannabis roch und man ihm nichts Wichtiges zutrauen konnte. Falls er gezwungen gewesen
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