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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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sechzehn aufwies. Sie hatte sie damals extra gezählt. Irgendwie fand sich bei einem Juwelier ein Paar, das mit den von ihr gekauften identisch war. Nun erschien in jeder Zeitung und auch im Fernsehen ein Foto, das diese neben dem von ihm gekauften Paar abbildete.
    Das könnte böse enden, dachte Jeremy droben in seiner Wohnung. Wieder einmal fehlte er an seinem Arbeitsplatz und unterließ heute sogar seine Streifzüge durch den Nordwesten Londons. Wenn die Kassettendiebe diese Story sähen, und das würden sie mit Sicherheit, würde für ihn alles nur noch schlimmer. Wenn sie es nicht schon vorher gewusst hatten, dann wüssten sie spätestens jetzt, dass die Ohrringe in der Kassette zwanzig Brillanten pro Kreole aufwiesen und mit denen auf dem Foto identisch waren. Warum, warum nur hatte er nicht daran gedacht, diese glitzernden Glasstückchen vor dem Kauf des Ersatzpaares zu zählen? Weil ihm das nicht eingefallen war, weil er sich nicht hatte vorstellen können, dass diese Zahl irgendeine Bedeutung haben könnte. Hieße das, er verachtete Frauen, die sich mit Tand schmückten? Oder er rümpfte über Frauen allgemein die Nase und empfände sogar heftige Abneigung gegen sie? Vielleicht. Im Augenblick fiel ihm keine ein, die er wissentlich mochte.
    Mit Ausnahme seiner Mutter. Auf alle anderen traf es zu. Außerdem – er schien etwas Seltsames entdeckt zu haben – war seine Mutter genau genommen keine Frau, sie war ein einzigartiges Wesen – seine Mutter. Jenseits aller Kategorien, jenseits von geschlechtlicher Zuordnung. Dieses Eintauchen in sein inneres Ich hinterließ bei ihm ein Gefühl der Erschöpfung. Halb schlafend saß er in seinem Sessel, da klingelte das Telefon. Nur wenige Leute kannten seine Telefonnummer. Selbstverständlich die anderen Mieter, Inez und jetzt vermutlich auch die Polizei.
    Er ließ es klingeln, fünfmal, sechsmal. Dann nahm er ab.

20
    Die Stimme gehörte einer Frau; ihr Akzent zu dem, was man von einem solchen Gesindel erwarten mochte. Die Worte klangen irreal, vielleicht sogar surreal. Jeremy überlegte, ob ihm schon einmal ein Mann oder eine Frau zuerst diese Frage gestellt hatte.
    »Ist dort der Mörder?«
    Er zwang sich zu antworten. »Was meinen Sie damit?«
    »Da ist der Rottweiler, sag?«
    Diesmal antwortete er nicht. Er hasste diesen Spitznamen.
    Sie sagte: »Ich hab deinen Safe mit dem ganzen Scheiß. Willst ’n haben? Mach lieber ’s Maul auf. Nützt dir nicht viel, wenn du nicht redest, Mister Gibbons.«
    Nicht einmal vor sich selbst hätte er zugegeben, dass ihm dies Angst einjagte, ja, ihn alarmierte. Woher wusste sie das? Wie konnte sie das wissen? »Was wollen Sie?«, fragte er.
    Getreu dem uralten Stil eines Erpressers sagte sie: »Wirst schon sehen. Ich ruf später wieder an. Sei lieber da.«
    Sie kannte seinen Namen, und das war momentan das Beunruhigendste. Selbstverständlich war sie nicht allein, da gab es noch andere, mit Sicherheit einen anderen. Irgendwie hatten sie die Kassette aufgebrochen und sich grausam viel Zeit gelassen, bevor sie zu ihm Kontakt aufnahmen. Er staunte, dass er sogar in Gedanken, stumm und inwendig, in der Stille seines Gehirns, das Wort »grausam« benutzte. Grausam, wiederholte er für sich, grausam, Grausamkeit, am grausamsten. Die Art, wie sie seinen wahren Namen ausgesprochen hatte, war grausam. Abgesehen davon konnte er sich nicht erklären, woher sie ihn kannte. Aus Furcht vor Einbrechern hatte er keine Dokumente hierher gebracht. Seine Versicherungspolice, Anteilscheine, Pass, Autoversicherung, die aktuelle Steuererklärung, Kreditkartenabrechnungen sowie Führerschein lagen mit dem Rest sicher in seinem Schreibtisch in den Chetwynd Mews 14 verwahrt. Aber, Moment mal …
    Wo war sein Führerschein tatsächlich? Man hatte ihn wegen Geschwindigkeitsübertretung angehalten, nicht beim letzten Besuch bei seiner Mutter, sondern damals im März. Obwohl er nur zehn Stundenkilometer schneller als erlaubt gefahren war, hatte ihn dieser Motorradpolizist aus reiner Schikane angehalten. Natürlich hatte er seinen Führerschein nicht dabei gehabt, hatte sich aber brav der Regel gefügt, diesen binnen fünf Tagen auf der nächsten Polizeistation vorzulegen. Anschließend hatte er ihn eingesteckt und sich wieder in die Star Street begeben. Was hatte er damit gemacht? Obwohl ihn diese Frau angewiesen hatte, das Haus nicht zu verlassen, tat er es. Von einer Frau würde er sich nichts befehlen lassen, besonders nicht von einer mit einer solchen

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