Der Duft des Bösen
Glassplitter und herausgerissene Bodendielen herum. Das Hantieren mit Glaswolle war unangenehm und vielleicht sogar gefährlich, da das dicke gelbe Pelzzeug aus feinsten Glasfasern bestand. Wer mit nackten Händen hineinfuhr, zog sie mit unzähligen haarfeinen Kratzern wieder heraus. Deshalb war das der letzte Haufen, den man abtransportierte. Als es so weit war, legte der Fahrer des Schuttlasters ein totes Mädchen frei, das bereits stark verwest war.
Ihre Mutter, die den letzten Monat zwischen Hoffnung und schrecklicher Angst verbracht hatte, identifizierte die Leiche im Leichenschauhaus. Starren Blicks kam sie näher, drehte sich um und entfernte sich wie eine Schlafwandlerin.
Die ganze Zeit über hatte Jacky lediglich zwei Straßen entfernt von jenen Remisenhäuschen gelegen, wo Jeremy Quick sein wahres Ich als Alexander Gibbons lebte. Nur selten fuhr er mit dem Auto durchs West End, aber in jener Nacht, als Jacky die Disko verließ, wo sie mit ihren Freundinnen gewesen war, hatte er es getan. Da die Zeit, in der die Parkverbote galten, längst vorbei war, hatte er beim Anblick der Mädchen auf einem der wenigen leeren Plätze neben einem durchgezogenen gelben Strich geparkt. Insgesamt waren sie zu viert, alle ein bisschen betrunken, fröhlich und jetzt vielleicht müde. Genau wie damals bei Gaynor Ray.
Er näherte sich ihnen. Kaum war er nur noch einen Meter entfernt, begab er sich in ein Telefonhäuschen und tat so, als würde er telefonieren. Längst zitterte er vor Erregung und dachte dabei wieder an Gaynor und ihr Silberkreuz und wie bereitwillig sie sein Angebot zum Mitfahren angenommen hatte. Was mit ihm geschah, konnte er jetzt genauso wenig begreifen wie je zuvor. Während er das Mädchen ansah, das er als Nächstes umbringen würde, war er zu keiner Gefühlsanalyse fähig. Sein Verstand war in jene stärkere Kraft eingebunden, die weder Sexualtrieb noch Wut war und auch nicht das, was Narren als Blutrausch bezeichneten. Handelte es sich um einen überwältigenden Wunsch nach Rache?
Drei Mädchen gingen weg, die Tottenham Court Road hinunter. Vielleicht suchten sie einen Bus, der die ganze Nacht fuhr. Diejenige, die er ausgewählt hatte – warum? Er wusste es nicht –, bog in eine Seitenstraße ein und wartete am Randstein. Vermutlich auf ein Taxi. Es war zwanzig Minuten nach eins, und dort gab es um die Zeit keine Taxis. Es waren auch keine Leute unterwegs, nicht in dieser schmalen und ziemlich dunklen Straße.
Das gräulich-weiße Licht einer einsamen Straßenlampe brach sich in den Ohrringen, die sie trug. Silber mit Brillanten besetzt, wie sonst Weißgold mit Diamanten – welch ein Zufall! Er ließ den Motor an. Wenn er stehen geblieben wäre, wäre ihm schlecht geworden. Er hätte aussteigen und sich im Rinnstein erbrechen müssen. Ein einziges Mal hatte er schon früher versucht, diesem Impuls zu widerstehen. Es war ihm nur gelungen, weil das Mädchen eine Tür an der Straße aufgesperrt hatte und hineingegangen war. Damals hatte er sich tatsächlich übergeben. Diesmal nicht.
Wie üblich war er tadellos gekleidet – dunkler Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte – und verfälschte seinen Akzent so weit, dass er möglichst wenig Ähnlichkeit mit dem Nottinghamer Tonfall seiner Kindheit hatte. An dessen Stelle trat die gedehnte Sprechweise der Oberschicht, als er an der Stelle bremste, wo vielleicht das von ihr gewünschte Taxi gehalten hätte, und sagte: »Wohin willst du? Schau doch nicht so.« Eigentlich schaute sie nur überrascht, sonst nichts. »Ich bin doch nicht irgendein Fremder. Ich habe selbst eine Tochter in deinem Alter. Bei mir bist du sicher.«
»Nach Wandsworth«, sagte sie und nannte die Straße. »Liegt in der Nähe des Stadtparks.«
»Ist es für dich wirklich o.k.? Oder möchtest du lieber auf ein Taxi warten?«
»Es gibt hier keine. Und wohin fahren Sie?«
»Nach Balham«, sagte er. »Liegt auf meinem Weg.«
Er hatte sie nach Süden gefahren, fast an seinem eigenen Haus vorbei, über World’s End nach Chelsea hinein und dann die Wandsworth Bridge Road hinunter. Die ganze Fahrt über unterhielten sie sich. Sie erzählte von ihren Freundinnen und dem gemeinsamen Abend, während er eine Frau, die Ärztin war, eine Tochter in Oxford und einen Sohn, der gerade Abitur machte, erfand und sich zur Bandbreite seiner Fantasie gratulierte. Als sie fast an der Wandsworth-Brücke waren, bog er in eine noch einsamere und leerere Seitenstraße ein.
»Ich glaube, das ist nicht
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