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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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doch, sagte er merkwürdigere Sachen als früher. Nun zeigte er eine weitere Veränderung. Nachdem der unvermeidliche Fernseher lief, begann er etwas zu machen, was Becky noch nie bei ihm erlebt hatte: Er nahm die Fernbedienung und zappte zwischen den Kanälen hin und her. Untypischerweise zeigte auch James etwas Interesse am Programm. Während des ganzen Juni lief die Fußball-Weltmeisterschaft. Obwohl aktuell kein Spiel stattfand, sendete man beinahe rund um die Uhr Kommentare: zu vergangenen Spielen, über die Aufstellung der verschiedenen Mannschaften, ob sich dieser oder jener Spieler von seiner Verletzung erholt hatte. Fußball, verkündete einer, sei wichtiger als das goldene Thronjubiläum und weitaus bedeutender als der drohende Krieg zwischen Indien und Pakistan. Will hingegen bevorzugte Kinderprogramme und Quizsendungen. Immer wenn James erhöhtes Interesse an Filmausschnitten von früheren Siegen Englands zeigte oder sich auf Beckhams Fußverletzung konzentrierte, zappte Will demonstrativ auf einen Tom-und-Jerry-Streifen zurück.
    Als Becky davon etwas mitbekam, hielt sie es anfänglich für harmlos. Will hätte keine Ahnung von James’ Vorliebe und verhalte sich nur entsprechend dem für Kinder typischen Egoismus. Doch als sie länger als sonst bei ihnen im Zimmer blieb, erkannte sie, dass es sich nicht so verhielt. Will tat das bewusst. Er wollte nerven. Erst gab er James die Fernbedienung, dann nahm er sie wieder an sich und kehrte zu seinem Lieblingssender zurück. Immer wieder warf er James heimlich hinterhältige Blicke zu und nahm dessen Verdrossenheit befriedigt zur Kenntnis. Da verstand Becky etwas, was ihr bis zu diesem Augenblick verborgen gewesen war. Allgemein galt es als selbstverständlich, dass Menschen mit »besonderen Bedürfnissen«, um es politisch korrekt auszudrücken, zwangsläufig perfekte Engel seien, deren Tugend mit ihrer Behinderung Hand in Hand gehe. Sie glichen jenen heiligen Narren aus russischen Romanen des 19. Jahrhunderts, deren Heiligkeit ihre mangelnden geistigen Fähigkeiten ausglich. Dem war nicht so, das war falsch. Will hegte dieselbe Eifersucht, denselben Groll wie jeder andere auch und war genauso nachtragend und rachsüchtig. Allerdings trat dies bei ihm offener und nachhaltiger zu Tage, denn er war ein Kind im Körper eines Mannes und zeigte wie ein Kind in seiner Mimik seinen Triumph. Als James schließlich den letzten Funken Geduld verlor, die »Radio Times« hinwarf und aus dem Zimmer stolzierte, lachte Will schallend los und schaukelte auf dem Sofa vor und zurück.
     
    Am Sonntagabend holte Jeremy seinen Wagen aus der Garage bei den Remisenhäuschen und parkte ihn am durchgezogenen gelben Strich in der St. Michael’s Street. An Wochenenden und Feiertagen durfte man das. Von allen Anwohnern der Straße war vermutlich Anwar Ghosh als notorischer Frühaufsteher der einzige, der morgens um halb acht schon aufgestanden war und seinen Becher Kakao trank. Dabei beobachtete er, wie Jeremy den Wagen aufsperrte, auf der Rückbank ein großes Blumengesteck, eine Flasche Champagner, ein Päckchen, das vielleicht ein Buch oder eine Pralinenschachtel enthielt, und eine gelbe Tüte von »Selfridges« verstaute und abfuhr.
    Jeremy wollte früh weg und war nun bereits auf dem Weg zu seiner Mutter. Ungeachtet seiner normalen Anhänglichkeit hatte er seit seinem Erlebnis am Samstag noch mehr als üblich an sie gedacht. Da er nie versucht hatte, Frauen zu verstehen, war es für ihn fast unmöglich, sich in sie hineinzuversetzen. Jetzt war es dafür zu spät. Hatte sie die Sache zwischen seinem Vater und Tess je gewusst? Noch immer konnte er sich nicht an ihren Nachnamen erinnern. Oder war diese Affäre restlos an ihr vorbeigegangen? Angenommen, sie hatte Bescheid gewusst. Wie sehr hätte sie das gestört? Vielleicht hatte sie es trotz ihrer Kenntnis vorgezogen, Stillschweigen zu bewahren, aus Angst, ihr Mann würde sie verlassen, sobald die Sache ans Tageslicht käme. Jeremy konnte sie nie direkt fragen. Dieses Thema konnte er nicht einmal anschneiden, sondern bestenfalls hoffen, dass sie es nie gewusst hatte oder dass die Zeit die Erinnerung daran getrübt hatte, als mit zunehmendem Alter Leidenschaft, Eifersucht und der Schmerz über eine Zurückweisung schwanden. War es wirklich so? Er hatte zwar davon gelesen, aber diesbezüglich fehlte ihm jedes konkrete Wissen.
    Auf der Fahrt über die fast leere Autobahn – die begeisterten Teilnehmer an den Jubiläumsfeierlichkeiten

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