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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Sollten die Fotos in ihr irgendeine spezielle Erinnerung wachgerufen haben, dann höchstwahrscheinlich nicht an die Untreue ihres Gatten.
    Dann säte sie erneut einige Zweifel in ihm. »Weißt du, mein Lieber, mich hat man so erzogen, dass ich von einem Mann nicht allzu viel zu erwarten habe. Mir hat man beigebracht, dass Männer auf gewisse Weise nie erwachsen werden, natürlich du nicht, du bist ganz anders. Wie sagte meine Mutter immer? Wenn eine Frau etwas haben will, muss sie ihre Überredungskünste aufbieten und Vorkehrungen treffen und – na ja, gerissen sein, um es zu bekommen. Wenn aber ein Mann etwas haben will, dann nimmt er es sich einfach wie selbstverständlich. Und das habe ich im Allgemeinen bestätigt gefunden.«
    Vor der Frage, was sie damit meine, hatte er Angst. Und doch hinterließ ihre Bemerkung in seinem Kopf ein Bild seines Vaters, der sich alles schnappte, worauf er ein Recht zu haben glaubte, einschließlich Frauen.
    Nach dieser philosophischen Anmerkung wechselte sie das Thema und widmete sich wieder dem Lob seiner Blumen und seiner Pralinen. Entgegen der Wettervorhersage war der Tag sonnig und schön. Sie unternahmen einen Spaziergang über die Landstraßen und gingen auf einem Fußweg durch die Wiesen zur Kirche. Auf dem Rückweg kamen sie durch einen Wald und über eine andere Landstraße. Diesen Weg war er schon tausendmal gegangen, als Kind mit seiner Mutter, später allein oder mit Freunden. Nur diesmal betrachtete er ihn mit anderen Augen und fragte sich, ob sich sein Vater wohl jemals mit Tess in diesem Wald getroffen hatte. Im Nachhinein wirkte sie wie eine Frau, die Spaß am Sex im Freien gehabt hätte, besonders wenn ein Hauch Risiko damit verbunden war. Allerdings war ihr Haus mindestens fünfzehn Kilometer entfernt gewesen, und dieser Ort befand sich so nahe am Wohnsitz seiner Mutter, dass es definitiv gefährlich gewesen wäre …
    Zum Abendessen gab es Suppe und kaltes Hähnchen. Kurz vor acht brach Jeremy auf. Er hatte geglaubt, die Straßen würden leer sein, weil niemand vor nächsten Nachmittag wieder nach London führe. Darin hatte er sich geirrt und befand sich schon bald mitten in einem Verkehrsstau. Ursprünglich hatte er den Wagen wieder in die Chetwynd Mews bringen und mit der U-Bahn oder per Taxi nach Paddington fahren wollen, aber als er die Randbezirke von London erreichte, war es bereits nach elf. Er fuhr direkt zur Edgware Road und stellte das Auto erneut an einer gelben Linie ab, diesmal in der Praed Street.
    Bei Inez brannte immer noch Licht. Während er die Treppe hinaufstieg, überkam ihn eine unbekannte Sehnsucht nach Gesellschaft. Auf dem ganzen Heimweg hatte er sich unstet, unsicher und gefährdet gefühlt. Eine neue Woche hatte begonnen, und er war zu dem Schluss gekommen, dass sich in dieser Woche, vielleicht am Mittwoch, vielleicht später, diese Leute, dieses Mädchen, wieder bei ihm melden und noch mehr fordern würden. Er besaß zwar mehr, sogar erheblich mehr, aber was sollte sie daran hindern, mit immer neuen Forderungen zu kommen und ihn restlos auszunehmen? Ohne sich weiter den Kopf über sein schwindendes Selbstbewusstsein zu zerbrechen, klopfte er bei Inez an die Tür. Sie hörte es nicht oder wollte es nicht hören. Wieder klopfte er. Statt sich über die Sprechanlage bei ihm zu melden, blieb sie drinnen vor der Tür stehen, um den Unbekannten durch den Türspion zu beäugen. Dann öffnete sie, wenn auch mit nicht sonderlich begeisterter Miene.
    »Ich komme eben von meiner Mutter zurück«, sagte er. »Draußen auf der Straße treibt sich eine Gruppe Halbwüchsiger herum.« Was nicht stimmte. »Und als ich bei Ihnen noch so spät Licht brennen sah, war ich mir nicht sicher, ob man Sie nicht vielleicht belästigt hat.«
    »Nein, alles war ziemlich ruhig und friedlich.«
    »Darf ich hereinkommen?«
    Obwohl ihre Miene signalisierte, dass ihr das Gegenteil lieber gewesen wäre, sagte sie, wenn auch kühl: »Ja, natürlich.«
    Den Fernseher hatte sie zwar ausgeschaltet, dabei aber übersehen, die Kassettenhülle mit dem Bild ihres verstorbenen Mannes zu verstecken. Das sei ja fast schon ein Laster bei ihr, dachte er brutal, das sei ihre Art von Pornografie. Der Zorn über den Empfang, den sie ihm bereitet hatte, fegte seine ganze Sehnsucht, seinen Wunsch nach Gesellschaft – egal, welche – restlos weg. Statt sich zu setzen, stand er mitten im Zimmer und beantwortete einsilbig ihre Fragen nach dem Befinden seiner Mutter und der Dichte des

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