Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
bevorzugten die Londoner Innenstadt – versetzte er sich in Gedanken noch einmal zurück zu Tess, ihrem Schlafzimmer, seiner Flucht und dem alles durchdringenden Duft. Inzwischen konnte er den Vorfall ohne Demütigung, Scham und Selbstvorwürfe betrachten. Er war ein Kind gewesen, und sie hatte ihn auf unverzeihliche Weise benutzt. Seine jetzige Sorge galt den Folgen dieses Erlebnisses, das sofort begraben worden war. Zweifelsohne war dabei noch etwas begraben worden: der Wunsch, Tess zu töten, eine ohnmächtige Wut, die sich aus seinem Versagen und ihrer unverhohlenen Belustigung speiste. Diese Emotion brach nicht beim Anblick einer Frau auf, die ihr ähnlich sah oder gleich alt war oder ähnliche Beine wie sie hatte, sondern nur, wenn er eine Duftwolke dieses unverkennbaren Parfüms roch, die hinter einer Frau her schwebte. Und jetzt fiel ihm auch wieder ein, was das Mädchen gesagt hatte, das ihn besprüht hatte. Dass es sich um eine alte Marke handle, die man »auf Grund häufiger Nachfrage« wieder aufgelegt hatte. Früher habe es »Yes« geheißen, aber vor kurzem habe man es umbenannt.
    Alle Mädchen, die er getötet hatte, hatten es benutzt. Vielleicht hatte Gaynor Ray noch die alte Version getragen, die sie in irgendeinem entlegenen Laden gekauft hatte, aber die anderen, seine späteren Opfer, hatten auf Grund einer Modeströmung zu dieser Neuauflage gegriffen. Hier lag auch die Lösung des Rätsels, warum in ihm während der langen Jahre zwischen seiner Teenagerzeit und Mitte vierzig nie Mordlust aufgekommen war. Man hatte das Parfüm nicht mehr tragen können, man hatte es vom Markt genommen, als ob die Hersteller sein tödliches Potenzial gespürt hätten. Völlig aus der Luft gegriffen. Einfach lächerlich!
    Immer wenn er die Duftwolke roch, die hinter diesen Frauen her schwebte und die nur ein Mensch mit einem außerordentlichen Geruchssinn überhaupt wahrnehmen konnte, war in ihm zwangsläufig wieder diese rachsüchtige Wut aufgekeimt, die sich nur stillen ließ, indem er in jeder von ihnen Tess tötete. Auf makabere Weise empfand er es als ziemlich komisch, dass er nicht wusste, wie dieses Parfüm hieß. Er dachte, inzwischen wüsste er alles – bis auf den Namen jener Kraft, die ihn zum Morden antrieb.
     
    Als Will fragte, ob er übernachten könne, verkündete James, er werde nach Hause gehen. Seine Freunde würden am Abend abreisen und wären weg, bis er einträfe. Als sich sein Aufbruch abzeichnete, ging Will zwar nicht so weit, einen Jubelschrei auszustoßen oder »Prima« zu sagen, aber allein sein zufriedenes Lächeln sprach Bände. Eigentlich hatte Becky mit beiden zum Essen ausgehen wollen und versucht, ein Lokal ausfindig zu machen, das die Lieblingsgerichte ihres Neffen bot und gleichzeitig auch für ihren Liebhaber akzeptabel war. Jetzt konnte sie das alles vergessen und mit Will ins Café Rouge oder zu McDonald’s gehen. Hätte James vor vierzehn Tagen seine Sachen gepackt und wäre verschwunden, hätte er Will beim Abschied links liegen gelassen und ihr lediglich einen Kuss auf die Wange gegeben und kalt »Also dann, tschüss« gesagt, hätte sie das an den Rand der Verzweiflung getrieben. Heute Abend fühlte sie sich erleichtert und flüchtete sich nach James’ Abgang aus reiner Gewohnheit zu ihrer Ginflasche. Wenn sie sich nicht allabendlich mit ein paar kräftigen Schluck Hochprozentigem gegen alle Eventualitäten wappnen könnte, würde ihr etwas Wesentliches fehlen.
    Wenn Becky schon nicht für ihn kochen würde – immerhin wäre das bereits zum zweiten Mal an diesem Tag gewesen –, dann wollte Will in einen Fischimbiss, wohin sie ihn schon einmal mitgenommen hatte. Er war überglücklich und jubelte vor Freude, weil James gegangen war und Becky seinem Vorschlag zugestimmt hatte, dass er bis Dienstag bleiben würde. Natürlich bemühte er sich nicht im Mindesten, dies zu verbergen.
    »Ich mag ihn nicht«, sagte er, als er in ihr Auto stieg. »Er ist nicht nett. Lass ihn nicht wieder herkommen, ja?«
    »Das kann ich nicht versprechen, Will.«
    »Er ist eingeschnappt. Monty hat zu mir gesagt, man darf nicht eingeschnappt sein. Es sei besser, wenn man sich ärgert und herumbrüllt, als wenn man eingeschnappt ist. Sagt er.« Will sprach vom Kinderheim und dessen Personal stets so, als sei er noch dort und ihren Verhaltensregeln ausgeliefert. »Warum ist das, was er im Fernsehen sehen will, besser als das, was ich will?«
    Darauf gab es keine Antwort. Was hätte sie einem

Weitere Kostenlose Bücher