Der Duft des Bösen
Straßenverkehrs. Sie bot ihm nichts zu trinken an, sondern sagte: »Also, wenn ich nichts mehr für Sie tun kann … Eigentlich wollte ich gerade ins Bett gehen.«
Lügnerin, dachte er, ich wette, du hast vor den Bildern eines Toten an dir selbst herumgespielt. Diese Nekrophile. Plötzlich hatte er das ganze Haus restlos satt: den Idioten mit seiner irren Russin, den Volltrottel von nebenan und seine Freundin, die genauso doof war wie er, am meisten aber Inez. Liebend gern hätte er sie ermordet, hier in ihrem eigenen Wohnzimmer erwürgt. Da schlug irgendwo in der Ferne eine Uhr Mitternacht. Es war unmöglich. Er konnte es nicht tun, das wusste er. Sie war unantastbar, genau wie jede andere Frau, wenn sie nicht vor ihm ging und eine Duftwolke dieses namenlosen Parfüms hinter sich herzog. Und vielleicht waren nun sogar sie vor ihm sicher, denn er hatte das Geheimnis gelüftet und den Grund seines Killerinstinkts analysiert. Er hatte sie zwanghaft getötet, angetrieben von einem Geruch und einer Erinnerung. Aber Leid tat es ihm nicht, er war sogar froh, denn er hasste sie. Alle.
»Gute Nacht«, wünschte er Inez. Seine Stimme klang rau und heiser. »Ich wollte mich ja nur vergewissern, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist.«
»Ja, vielen Dank. Mir geht’s gut. Gute Nacht.«
Die Tür hinter ihm schloss sich schneller, als es die Höflichkeit gebot. Wenn das alles vorbei wäre und er an dieses Mädchen mit dem schwarzen Zeug vielleicht seine gesamten Ersparnisse bezahlt hätte, möglicherweise sollte er sich dann, wenn er sich immer noch in Sicherheit befände, restlos von diesem Doppelleben trennen und heimgehen und für den Rest seines Lebens bei seiner Mutter wohnen. Warum nicht? Er liebte sie, und sie ihn. War sie doch der einzige Mensch, mit dem er für längere Zeit hatte beisammen sein können, ohne dass er sich langweilte oder Abscheu empfand.
Mittlerweile müsste er eigentlich müde sein, aber trotzdem würde er sicher nicht schlafen können, wenn er jetzt zu Bett ginge. Er machte sich den Drink, den Inez ihm nicht angeboten hatte, und setzte sich, um ihn zu genießen, obwohl es beileibe nicht sein erster an diesem Tag war. Wahrscheinlich lag es daran, dass ihm zum Beispiel der angenehme Effekt eines Gin Tonic um zwölf Uhr mittags fehlte. Die Zeitung lag noch unberührt auf dem Couchtisch. Er schlug sie auf und sah sich Bildern vom Thronjubiläum gegenüber. Die Königliche Familie in pastellfarbenen Kleidern oder in Galauniformen, strahlender Sonnenschein auf den sattgrünen Blättern der Parkanlagen. Bis auf das Jaulen einer Feuerwehrsirene, die auf- und abschwoll und schließlich erstarb, war alles still. So gänzlich ruhig wie jetzt war es selten. Zehn Minuten vor eins und morgen – nein, heute – noch ein Feiertag. Er würde genüsslich ein Bad nehmen und dadurch vielleicht schläfrig werden.
Seinen Drink nahm er mit. Er war schon halb im Bad, da klingelte das Telefon. Fast hätte er das Glas fallen lassen. Das konnte nur eine Person sein. Um diese Zeit würde ihn sonst niemand anrufen. Neunmal ließ er es klingeln, dann hob er ab und hörte ihre Stimme, diesen fürchterlichen Akzent, diesen schlampigen Redestil.
»Kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt. Vielleicht musst du uns noch mehr geben, hab ich gesagt. Wirst du müssen. Wohnungen kosten ’nen Batzen und gehen laufend im Preis rauf. Fünftausend, das wär’s dann vermutlich. Kann man nie richtig wissen, aber es sieht so aus.«
»Warte«, sagte er, »lass mich mit deinem Freund reden.«
»Warum?«
»Zum Beweis, dass er existiert. Ist er da?«
»Nein«, sagte sie, »ist er nicht. Morgen melde ich mich wieder.«
Inez konnte nicht schlafen. Sie setzte sich im Bett auf und grübelte über Dinge nach, über die sie sich tagsüber wohl kaum den Kopf zerbrochen hätte. Bisher hatte sie sich um keinen Ersatz für Zeinab gekümmert, die möglicherweise am Donnerstagabend ihre Stelle aufgeben würde. Und bis dahin blieben nicht einmal mehr drei Tage Zeit. Sie fragte sich, ob dieses Versäumnis daher rührte, dass sie Zeinab kein Wort mehr glaubte. Morton Phibling hatte zweifellos die Absicht, sie am Samstag zu heiraten, aber hieß das auch, dass sie ihn heiraten wollte? Das Hochzeitskleid, dachte Inez, der Verlobungsring … Allerdings besaß sie noch einen Verlobungsring, angeblich ein Geschenk von Rowley Woodhouse. Falls es Rowley Woodhouse überhaupt gab …
Diese Gedankengänge brachten sie wieder darauf, dass Phibling
Weitere Kostenlose Bücher