Der Duft des Bösen
Sollte sie sich geirrt haben, was Wills Gefühle zu ihr betraf? Unmöglich. Wenn sie letzte Woche zusammen auf dem Sofa gesessen waren, hatte sie seine Hand gehalten, was er zu mögen schien. Eines Abends hatte sie ihn vor dem Zubettgehen umarmt, und er hatte diese Umarmung erwidert, ganz fest, so wie es der Junge ihres Bruders Wayne machte, wenn sie ihm etwas geschenkt hatte. Aus irgendeinem Grund hinterließ dieser Vergleich in ihr ein ungutes Gefühl, als würde sie Will für ein Kind halten. Und das war bei einem erwachsenen Mann, der sich rasieren musste und einen Meter achtzig groß war, absurd und unmöglich.
Jetzt nahm sie seine Hand. Er schaute her und schenkte ihr ein reizendes Lächeln. Dieser TV-Serie folgte die nächste, nur dass es sich diesmal um Polizisten handelte statt um Leute in einem Pub. Und dann kamen die Nachrichten. Da Will nie Nachrichten sehen wollte, spielte er auf der Fernbedienung herum, bis er einen Komiker mit einer Gruppe langbeiniger Mädchen in Glitzer-BH und Minirock fand.
»Bist du nicht müde?«, fragte Kim. »Es ist spät.«
»Ich will dieses Programm sehen. Wenn es vorbei ist, gehe ich ins Bett. Versprochen.«
Wieder fühlte sie sich an ihren achtjährigen Neffen erinnert. Hätte sie doch nur nie an ihn gedacht, denn jetzt ging er ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Jeder Satz von Will – »In einer Minute, in einer Minute« und »Ich komme schon, habe ich gesagt, ich komme schon« – wirkte wie ein Echo von Waynes kleinem Jungen. Aber endlich war die Sendung vorbei. Gehorsam hatte Will das Gerät ausgeschaltet und war ins Bad gegangen. Bis auf seine Nachttischlampe löschte sie alle Lichter und zog den Vorhang um ihr Bett zu, allerdings nur, um ihr neues Nachthemd anzuziehen, ein kurzes, hellblaues. Ihr Kleid schien er nicht bemerkt zu haben, aber vielleicht wäre es damit anders.
Als er jedoch im Schlafanzug auftauchte, fühlte sie sich plötzlich verlegen und zog schnell den Vorhang vor. Ihr Herz klopfte heftig. Sie hörte Will ins Bett gehen. Er knipste die Nachttischlampe aus, die Wohnung wurde dunkel. Damit hatte sie zwar nicht gerechnet, aber sie hatte nicht den Mut, sie wieder einzuschalten. Beinahe hätte sie aufgegeben. Doch dann dachte sie: Wenn ich’s jetzt nicht mache, kann ich hier nicht bleiben, so wie ich mich fühle. Wenn ich ihm erst mal gezeigt habe, dass ich das möchte, wird es schon werden. Vielleicht hat ja auch er darauf gewartet. Fünf Minuten, dann wird er begeistert sein, dass ich ihm meine Gefühle gezeigt habe. Sie kam hinter dem Vorhang hervor, ging zu Wills Bett hinüber und flüsterte: »Will, Will …«
»Was ist los?« Er klang schon halb eingeschlafen.
»Soll ich zu dir kommen?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, zog sie die Decke zurück und kletterte neben ihn ins Bett. Er würde seine Arme um sie legen, er musste es tun. Und sie würde sich von ihm das Nachthemd ausziehen lassen. Das würde ihm gefallen. Sie legte ihm die Hände auf die Brust und hob ihm ihren Mund entgegen.
Was dann passierte, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Er drehte den Kopf weg, sodass sie jetzt seine dichten blonden Haare im Gesicht hatte, und schüttelte ihre Hände ab. »Ich mag keine fremden Leute in meinem Bett«, sagte er, rollte sich auf die andere Seite, drückte die Stirn gegen die Wand und zog die Knie bis ans Kinn. »Geh weg. Geh weg. «
Deshalb war sie jetzt, früh um halb acht, nach einer schlaflosen Nacht, in der sie nichts begriffen und sich nur geschämt hatte, dabei, auszuziehen. Will würde zwar in einer Stunde zur Arbeit gehen, aber sie wollte unbedingt, dass er ihr beim Gehen zusah. Er musste doch verstehen, dass er sie nicht ungestraft wie eine unbezahlte Putzfrau und Köchin behandeln konnte, wenn sie nicht einmal seine Freundin war. Er jedoch schien die letzte Nacht restlos vergessen zu haben.
»Will, ich gehe jetzt«, hatte sie ihm erklärt. »Ich halte das nicht mehr aus. Ich bin nicht deine Mama und schlafe bei dir im Zimmer, wenn du dich nachts fürchtest.«
»Meine Mama ist tot«, sagte er ziemlich fröhlich, »aber ich habe ja Becky.«
Für diese Bemerkung wäre sie am liebsten über ihn hergefallen und hätte ihn mit den Fäusten verprügelt und mit ihren langen Nägeln gekratzt. Stattdessen packte sie fertig. Da er sich nicht anbot, ihre Koffer hinunterzutragen, stellte sie sie eigenhändig vor die Tür. Sie würde sie mit in die Arbeit nehmen und danach – tja, wäre toll, wenn die drei Mädchen, die sie
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