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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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einem bissigeren Ton, als sie es sich normalerweise gestattete. Anschließend erkundigte sie sich schuldbewusst bei Freddy, ob er und Ludmilla schöne Flittertage gehabt hätten.
    »Herrlich«, meinte Freddy, während er im grauen Lehnstuhl Platz nahm. »Ludo war in Hochstimmung. Außerdem, Inez, muss ich sagen, dass mich die Isle of Man trotz Ihrer spöttischen Bemerkungen sehr an Barbados erinnert hat.«
     
    Das Mädchen und ihr Freund, wenn es ihn denn gab, verloren herzlich wenig Zeit. Hatte sie sein Zettel gereizt und zu weiteren Aktionen angetrieben? Jeremy grübelte. Noch vor dem Klingeln des Telefons – um dreiundzwanzig Uhr; früh für sie – hatte er an seine Erpresser beziehungsweise die Erpresserin gedacht. In diesen Tagen ging ihm kaum noch etwas anderes durch den Kopf, außer dass er stets mit neuem Staunen seine Vergangenheit betrachtete und den Grund, der ihn zur Ermordung dieser Frauen angetrieben hatte. Wenn ihn dieses Mädchen noch einmal anriefe, was sie sicher tun würde, würde er sie fragen, ob es den Freund tatsächlich gäbe. Ob noch mehr Leute damit zu tun hätten oder ob sie wirklich allein sei. Das könnte zweierlei bedeuten: Entweder war es ihr gelungen, seine Geldkassette ohne Wissen ihrer Kumpane zu stehlen, oder einer der Männer – es mussten mehrere sein – hätte es zwar geschafft, die Kassette zu öffnen, aber nicht die Bedeutung des Inhalts erkannt. Was wahrscheinlicher war. Sie allein hatte die Sache durch schaut. Aus einem einzigen Grund: weil sie eine Frau war.
    Natürlich würde sie ihm vorzugaukeln versuchen, dass noch andere daran beteiligt seien, ihr Freund und vielleicht noch zwei oder drei Bekannte. Auf diese Weise müsste er annehmen, es gäbe noch mehr Leute, die ihn weiterhin um Geld erleichtern oder ihren Verdacht der Polizei mitteilen würden, falls er sie beim nächsten Treffen um die Ecke brächte. Sollte er allerdings herausfinden, dass sie ganz allein war …
    Eben hatte er sich seinem Gute-Nacht-Drink zugewandt, einem Gin Tonic, dessen ersten Schluck er so erfrischend fand. Da klingelte das Telefon. Er konnte sich nur zwei Anrufer vorstellen, Inez oder seine Mutter. Hatte er wirklich so wenige Freunde? Er hob ab. Beim Klang ihrer Stimme verwandelte sich seine Bestürzung auf der Stelle in helle Wut.
    »Ich habe es dir in meinem Brief erklärt«, sagte er. »Mehr habe ich nicht. Du hast alles, was ich hatte.« Sie sagte nichts. »Hast du meinen Brief nicht gelesen?«
    Er bildete sich ein, ihre Stimme klänge theatralisch und schriller als sonst, als wollte sie sich in Szene setzen. »Einer von den anderen hat’s gelesen. Da weiß ein ganzer Haufen von uns Bescheid. Haste gedacht, ich wär allein? Du solltest dich glücklich schätzen, Alexander, oder wie du dich nennst. Was drin stand, ist scheißegal.« Bei diesem Ausdruck zuckte er zusammen; eine solche Sprache hatte er immer gehasst. »Wir wollen noch fünf Riesen.«
    »Die bekommt ihr nicht. Ist nichts mehr da.«
    »Kannst doch was verkloppen, oder? Dein Auto, deine nette kleine Wohnung in South Ken.«
    Wie eine schäumende Flutwelle stieg die Wut in ihm auf und trieb die Hitze durch seinen ganzen Körper. »Das tu ich nicht.«
    »O.k. Dann leiht’s dir die Bank. Du weißt ja, was passiert, wenn du’s nicht tust. Auch wir können Briefe schreiben, und einen werden wir halt in das Paket für die Polente legen. Ich werde dann mal am Samstag wieder bei dir anläuten.«
    »Warte«, sagte er scharf, »lass mich noch mit einem von den anderen reden.«
    Die Leitung stand zwar noch, aber sie war stumm geworden. Aus dem Hintergrund war nichts zu hören, keine Bewegung, keine Stimmen. Ohne ein weiteres Wort legte sie auf.
    Beim Anruf am Samstag würde es um den nächsten Treffpunkt gehen. Er verspürte etwas, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte: ein Gefühl der Erleichterung. Trotz leiser Zweifel war er eigentlich schon früher überzeugt gewesen, aber sie hatte es ihm so gut wie bestätigt: Sie war allein. Er rief sich ihre Stimme aus dem Gedächtnis zurück und hörte den falschen Tonfall: »Da weiß ein ganzer Haufen von uns Bescheid.« Falsch. Entweder war sie allein, oder der Freund war zwar im Frühstadium beteiligt gewesen, aber inzwischen handelte sie auf eigene Faust. Sie war gierig. Bei jemandem anläuten – was für ein dummer Analphabetenausdruck. Er spürte, wie er hastig die Mundwinkel nach unten verzog, und versüßte sich den schalen Geschmack mit einem Schlückchen Gin. Dann fiel ihm

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