Der Duft des Bösen
kaufte sich Will zum Mittagessen eine Pizza und einen Becher Eis mit Schokosplittern, den der Verkäufer dick in Zeitungspapier einwickelte, damit das Eis auf dem Heimweg nicht schmolz.
In seiner Wohnung hatte er einen kleinen Kühlschrank, nicht größer als die Mikrowelle, aber für einen Karton Milch, 200 Gramm Butter und ein Kotelett oder ein Stück Huhn reichte es. Will schaffte es ziemlich gut, Dinge in Gramm und Milliliter und Millimeter zu bestimmen, nur bei britischen Pfund und Unzen war er hoffnungslos verloren. Becky kam mit der Grammeinteilung nicht zurecht. Eines machte ihm ganz besonderen Spaß: Wenn er ihr in den Geschäften etwas über Grammeinheiten beibringen konnte. Darauf war er stolz. Dass er nicht so schlau war wie einige Leute, wusste er und auch, dass er es trotz aller Versuche nie weiter bringen würde. Ihn befriedigte es zutiefst, wenn er merkte, dass er aus Dingen schlau wurde, an denen andere scheiterten. Wenn er zum Beispiel wusste, dass vierzehn Grad im März warm waren, wie hoch fünf Zentimeter waren und wie man bestimmte Sachen zusammenbastelte. Becky hatte sich per Katalog ein Schränkchen bestellt, dessen Einzelteile in einer flachen Schachtel ankamen. Sie war nicht imstande gewesen, es zusammenzubauen, aber er. Schritt für Schritt hatte er sich an die Anleitung bei den Versandpapieren gehalten, und binnen einer Stunde hatten sich sämtliche Einzelteile in ein hübsches Schränkchen mit Schublade und einer funktionierenden Tür verwandelt. Will unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von einem Zehnjährigen mit geschickten Händen. Eines war allerdings ganz entscheidend: Im Gegensatz zu einem Kind prahlte er nicht mit seinem Erfolg. So etwas würde er einmal erwähnen und dann nie wieder.
Nach dem Mittagessen duschte er, machte hinter sich sauber und saß dann ruhig da, tat nichts und dachte an den kommenden Abend.
Sie holte ihn im Van ihres Bruders ab, den sie sich für den Abend geborgt hatte. »Der Schatz in der Sixth Avenue« lief im Warner Village in der Finchley Road, dem eine Parkgarage angeschlossen war. Also konnte Kim den Van drinnen unterstellen, wo man ihn weder abschleppen noch mit einer Parkkralle blockieren würde. Will, der sich mit weißem Hemd, blauer Krawatte und Lederjacke fein gemacht hatte, hatte ihr die Veilchen gegeben, worüber sie sich ehrlich zu freuen schien. Kein Junge habe ihr schon mal Blumen geschenkt, meinte sie. Sie trug eine weiße Jacke über einem T-Shirt, das dieselbe dunkelviolette Farbe hatte wie die Veilchen, die sie sich an den Kragen steckte. Will fand, dass es hübsch aussah.
Drinnen im Kino kaufte er jedem einen großen Styroporbecher Cola und einen noch größeren mit Popcorn. Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal Popcorn gegessen zu haben, und er wollte es gern probieren. Will wusste nie viel zu sagen, im Gegensatz zu Kim. Ganz zufrieden hörte er zu, was sie alles erzählte: von ihrer Familie, von Mama und Papa und ihren beiden Brüdern Keith und Wayne, vom Frisörsalon, wie schwierig es sei, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren, übers Wetter, und dann fragte sie, wohin Will im Sommerurlaub fahren würde. Ein erfahrenerer Will mit mehr Grips hätte die letzten Fragen als das erkannt, was sie waren: Grundfragen, die alle Frisöre ihren Kunden stellten. Aber ihm schnitt Becky immer die Haare. Er erzählte Kim, er würde dorthin fahren, wo sein Tantchen hinfahre – was ihm einen argwöhnischen Blick eintrug –, und dass seine Mutter tot sei. Trotzdem liebe er den Frühling, weil dann alle Blumen hervorkämen. Als er auf seine Mutter zu sprechen kam, reagierte sie mitfühlend. Sie könne sich nichts Schlimmeres vorstellen, als wenn ihre Mama sterbe, aber vielleicht hätte ja seine Tante deren Stelle eingenommen. Dies bejahte Will. Sie tranken ihre Cola und verspeisten das Popcorn, die Werbestrecke ging zu Ende und »Der Schatz in der Sixth Avenue« begann.
Kim hatte bereits betont, wie sehr ihr Russell Crowe und Sandra Bullock gefielen. Jetzt konnte Will die beiden Schauspieler identifizieren und freute sich, dass er sie wiedererkannte, als sie kurz darauf erneut auftauchten. Dem Handlungsverlauf konnte man unschwer folgen. Die Hauptfiguren waren ein Bankräuber, dessen Freundin und ein Kumpel, gespielt von einem Schauspieler, von dem nicht einmal Kim je etwas gehört hatte. Diesmal planten die drei allerdings keinen Banküberfall, sondern einen Juwelenraub. Der genaue Ort der Handlung war einem
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