Der Duft des Bösen
Jeremy in irgendeinem Urlaubsort am Mittelmeer abgebildet waren. Und einmal hatte sie ihn flüchtig in einem jener Lokale sitzen gesehen, an denen sie an Sommerabenden immer vorbeispazierte. Ständig hatte er auf seine Uhr geschaut, als erwartete er jemanden. Sicher Belinda. Da Inez sich in jener Nacht wieder einmal ganz besonders einsam fühlte, war sie versucht gewesen, hineinzugehen und »Hallo« zu sagen. Sie könnte Belinda kennen lernen, wenn sie käme, und vielleicht einen kleinen Schluck mit ihnen trinken. Selbstverständlich tat sie es nicht, sie hatte es auch gar nicht ernsthaft erwogen. Früher hatte sie nie verstanden, warum die beiden nicht heirateten. Doch nun hatte sie eindeutig ihre Antwort – auch darauf, warum Jeremy so oft allein zu sein schien.
»Eben ist mir durch den Kopf gegangen«, sagte sie, »dass die Polizei gemeint hat, sie käme wieder, und es dann doch nicht getan hat.«
»Wir könnten ihnen nichts Neues erzählen. Jetzt wird dieses Mädchen vermisst, armes Ding. Ich werde Ihnen mal verraten, was ich davon halte. Jedes Jahr werden hunderttausend Menschen als vermisst gemeldet und nie gefunden. Belinda meint, sie wäre nicht überrascht, wenn dieser Typ, den alle Rottweiler nennen, einige davon schon früher umgebracht hätte, bevor er überhaupt hierher gekommen ist.«
»Wenn er ihnen immer irgendein persönliches Stück abnimmt, würde doch auch die Polizei diesen Schluss ziehen, oder?«
Vermutlich ja, meinte Jeremy, ihm sei das eben nur so eingefallen, und nun müsse er gehen. Inez schenkte sich noch eine Tasse Tee ein und las die eine Zeitung zu Ende, die Lokalseite, die Meldungen aus dem Ausland und einen Bericht über Selbstbräuner. Um neun Uhr drehte sie das Schild innen an der Glastür auf »Offen« und schleppte den Bücherständer auf den Gehsteig hinaus. Als sie gerade wieder hinein wollte, öffnete sich die Nebentür am Ende der Treppe. Arm in Arm kamen Ludmilla und Freddy Perfect heraus. Ludmilla trug einen langen braunen Baumwollrock, eine rote Tunika mit goldenen Posamentenverschlüssen, die wie ein Teil einer Husarenuniform aussah, und purpurfarbene Stiefel mit hohen Absätzen. Freddy hatte sich in einen Hahnentritt-Anzug mit Krawatte geworfen. Inez war sicher, dass es sich um eine alte Collegekrawatte aus Harrow handelte. Sie winkten Inez zu, blieben aber nicht stehen, vielleicht weil eben Morton Phiblings orangefarbener Mercedes am Randstein gehalten hatte.
»Sie ist noch nicht da, Mr. Phibling.«
»Es ist schon fast halb zehn!«
»Ja, ich weiß.« Liebend gern hätte sich Inez weiter über Zeinabs heftige Verspätung ausgelassen, doch damit würde sie dem Mädchen vielleicht die Chancen verderben. Vielleicht war Phibling in Sachen Pünktlichkeit pedantisch und machte ein Drama daraus, wenn Leute nicht rechtzeitig zur Arbeit erschienen. Möglicherweise wäre er abgeschreckt. Obwohl sie überzeugt war, dass sie ihn bereits von früher kannte, wusste sie eigentlich nicht viel über ihn. Sicher würde er jetzt wegfahren und später wiederkommen.
Zu ihrer Überraschung folgte er ihr in den Laden. »Aus einem ganz besonderen Grund möchte ich sie unbedingt sehen.« Er zog eine Schmuckschachtel aus der Tasche seines Kamelhaarmantels. »Was halten Sie davon? Am Freitagabend habe ich sie zum Essen ausgeführt, und sie meinte, sie würde ernsthaft über eine Verlobung nachdenken.«
»Wirklich?« Inez hatte es fast die Sprache verschlagen, so blitzten und funkelten die blauen und weißen Steine auf dem blauen Samtbett.
»Eine Diamant-Saphir-Parure«, sagte Morton Phibling. »Hat eine Stange Geld gekostet, aber ich kann’s mir leisten. Sie ist alle Schätze von Harun al Rashid wert«, fuhr er fort, wobei er in seinen Arabertonfall fiel. »Den Topkapi-Palast sollte sie haben, wenn ich ihn bekommen könnte.«
Er setzte sich in Tante Violets Sessel, lehnte sich zurück und zündete eine Zigarre an.
»Mr. Phibling, hätten Sie die Güte?«, sagte Inez. »Hier drinnen kann ich wirklich das Rauchen nicht gestatten.«
»Kein Grund zur Aufregung. Ich werde hinausgehen und auf dem Gehsteig rauchen, während ich meine Liebste erwarte.«
Zeinab war noch später dran als sonst. Daran war Carmel schuld. Sie hatte einen Wutanfall bekommen, weil sie zur Schule musste, und Bryn hatte sie darin unterstützt, indem er sich brüllend zu Boden geworfen hatte. Selbstverständlich konnte man Inez das nicht erklären. »Mein Paps hat gestern Abend meine Mami verprügelt. Ich musste
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