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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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ein Kind bekam. Doch derartige Vorfälle gehörten höchstwahrscheinlich ins Reich der Mythen und Legenden. Heutzutage war das nach einer Hormonbehandlung möglich. Aber 1966, als Belinda vermutlich geboren wurde? Darauf gab es nur eine Antwort: Belinda musste ein Adoptivkind sein. Natürlich. Jede andere Erklärung würde Jeremy Quick in keinem allzu guten Licht dastehen lassen …

6
    Als das Wochenende näher kam, begannen Beckys Gedanken um Will und um die Frage zu kreisen, ob sie ihn für Samstag oder für Sonntag einladen sollte. Seit sie ihn am vorigen Freitagabend bei Inez gelassen hatte, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Jetzt bauten sich langsam ihre normalen Schuldgefühle wieder auf. Doch am letzten Sonntag war Becky etwas passiert, was nicht normal gewesen war: Sie hatte einen Mann kennen gelernt.
    Und das im Hause einer Arbeitskollegin. Diese hatte sie, anscheinend aus heiterem Himmel, zum Abendessen eingeladen. Da sie kurz zuvor die Bemerkung fallen gelassen hatte, sie hätte am fraglichen Tag nichts Besonderes vor, saß sie in der Klemme und musste zusagen. Der Mann war der Cousin ihrer Gastgeberin. Er war ungefähr in Beckys Alter, sah gut aus, war nett und frisch geschieden. Als sie ging, war es schon dunkel. Ihr Auto parkte zwangsläufig mehrere hundert Meter weiter weg auf der Straße. Also ging James mit ihr hinaus und begleitete sie zu ihrem Parkplatz. Während er ihr die Wagentür aufhielt, fragte er, ob er sie für den nächsten Freitag oder Samstag zum Abendessen einladen dürfe. Ohne langes Zögern war Becky einverstanden. Allerdings bezog sich dieses Ja auf den Freitag, denn schon damals überlegte sie, an welchem Tag sie Will nächstes Wochenende einladen müsste.
    James hatte sie angerufen und war überaus charmant gewesen. Er wolle nur ihre Stimme hören, meinte er, und fünf Minuten mit ihr plaudern, falls sie so viel Zeit übrig hätte. Aus den fünf Minuten wurden zwanzig, und als Becky auflegte, schlugen ihre Gedanken bereits Purzelbäume. Sollte der Freitagabend halten, was er schon jetzt versprach, dann entstünde möglicherweise in ihm der Wunsch, den Samstag mit ihr zu verbringen, und umgekehrt. Seit Jahren hatte niemand mehr so attraktiv auf sie gewirkt, und ihm ging es umgekehrt ähnlich, glaubte sie. Was sollte sie tun? Abwarten oder eine Entscheidung treffen und Will auf Sonntag einladen?
    Und was wäre, wenn er auch den Sonntag mit ihr verbringen wollte? Angenommen, sie sagte: »Ja, aber da kommt mein Neffe«, und er meinte, dagegen hätte er nichts, dann könnte er ja ihren Neffen kennen lernen? In Becky stiegen miserable Gefühle auf, Gefühle, für die sie sich zutiefst schämte. Sie wollte nicht, dass James Will traf. Will, einen so nahen Verwandten, der doch nur Handlanger auf dem Bau war und – nun ja, nicht ganz, ach Gott, wie sollte sie es nennen, ohne sich wie eine obermiese Ratte vorzukommen?
    Und doch verging kein Wochenende, ohne dass sie ihn einlud. Plötzlich fiel ihr das Mädchen ein, diese Kim. Vielleicht waren Will und sie jeden Abend zusammen fort gewesen. Vielleicht würde Will deshalb keine Lust haben, einen Tag für sie zu reservieren. Niemand, weder Gott, an den sie nicht glaubte, noch ein menschlicher Richter konnte doch allen Ernstes erwarten, dass sie jede Minute ihrer Freizeit dem Kind ihrer toten Schwester widmete, einem erwachsenen Mann mit einem Job, mit Freunden und einem eigenständigen Leben. Niemand. Selbstverständlich war es nicht ganz so, redete sie sich ein. So schien es nur rein oberflächlich betrachtet. Da es aber hier nicht um allgemein gültige Gepflogenheiten ging, sondern um einen individuellen Fall, galten die üblichen Regeln nicht. Wenn ihr Gewissen, diese innere Stimme, diese altmodische Instanz ihr immer wieder vorsagte, sie solle ihn einladen, dann musste sie auch gehorchen. Und wenn James sie wirklich mochte, würde er auch wieder kommen und sich nicht durch eine einmalige, vernünftig begründete Absage abschrecken lassen. Genau diesen Rat bekäme sie von der Kummerkastentante, an die sie nie schrieb, obwohl sie schon oft daran gedacht hatte. Das wusste sie genau.
    Warum nur waren die Empfehlungen dieser Zeitungskolumnisten nie wirklich attraktiv und brachten einen lediglich dazu, sich für das genaue Gegenteil zu entscheiden?
     
    Wenn sie einen Film sehen wollen, schlagen die meisten Leute ohne häusliche Verpflichtungen oder Kinder einfach die Anfangszeiten nach und gehen ins Kino. Nicht so Will: Er musste sich

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