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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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schon »verdrückt«, wie sie immer sagte. Er war ein sehr gut aussehender Weißer namens Ron Bocking gewesen, von dem sie allerdings immer nur als »Ratte« oder »Abschaum der Menschheit« sprach. Auch Reem hatte gut ausgesehen und würde es jetzt, mit fünfundvierzig, immer noch tun, wenn sie nicht in diesen Fettbergen versunken wäre. Daran war zum Großteil ihr Entschluss schuld, den sie gefasst hatte, als Zeinab schulreif wurde: So weit es in ihrer Macht läge, würde sie nie wieder etwas tun, was sie nicht mochte, und dafür möglichst viel vom Gegenteil.
    Also hatte sie die Arbeit in der ausbeuterischen Dessousproduktion in Brentford aufgegeben und sich in ein Rückenleiden hineingesteigert. Bei Rückenschmerzen sind Ärzte ziemlich machtlos, sowohl bei der Diagnose als auch bei der Behandlung. Sie können nicht beweisen, ob man so etwas hat oder nicht, sind aber trotzdem geneigt, ersteres zu vermuten, wenn man gebückt herumstöhnt. Reem war eine gute Schauspielerin. In Sachen Krummgehen und Stöhnen war sie Meisterin. Beim geringsten kleinen Stich gelang es ihr sogar gelegentlich, künstlerisch gekonnt zusammenzuzucken und aufzukeuchen. Sozialhilfe wegen Arbeitsunfähigkeit war wesentlich einträglicher als normale Sozialhilfe. Reem, die nichts zu tun hatte, außer sich in die Anträge zu vertiefen und sich geistig mit den Informationsheften zu beschäftigen, sicherte sich jeden erdenklichen Sonderzuschuss. Die zuständige Bezirksverwaltung bezahlte ihre Wohnungsmiete und hatte sich bereit erklärt, ihr sogar einen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen. Derzeit dachte sie – Zeinab und Algy waren ins Kino gegangen, und sie war mit Carmel und Bryn allein – ernsthaft über dieses Angebot nach und überlegte, ob ihr nicht ein Auto lieber wäre. Sie konnte zwar nicht fahren, doch das ließe sich lernen …
    »Nanna, können wir ein Video sehen?«, fragte Carmel. »Wir hätten gern ›Basic Instinct‹.«
    Diesen Film hatte ihr Vater, neben »Wilde Hunde« und »Die Verurteilten«, strikt verboten, doch das war Reem egal. Sie ließ den Kindern immer ihren Willen, solange sie sie in Ruhe ließen, und dafür liebten sie sie.
    »Bryn will Schoki.« Wenn der kleine Junge etwas wollte, verfiel er stets in diese Babysprache. »Weiße Schoki, nicht braun«, brüllte er, als ihm die falsche gereicht wurde.
    »Na los, dann bedien dich selbst und halt die Klappe«, sagte Reem, wobei sie ihm die Schachtel zuschob. Jedenfalls war es jetzt Zeit für ihr Curry. Schon seit vielen Jahren hatte sie nichts mehr gekocht. Sie lebte von indischem Essen, das der »Banyan Tree« zum Mitnehmen verkaufte. Zum Frühstück verspeiste sie die Tikka- oder Korma-Reste vom vorigen Abend, abgerundet durch einen Mars-Riegel. Dies war ihr Essen, wenn sie um die Mittagszeit aufstand. Eine strenge Erziehung durch gläubige muslimische Eltern in Walworth – als sie schwanger war, hatte man sie auf die Straße gesetzt – hatte bei ihr ein einziges moralisches Prinzip hinterlassen: eine Abneigung gegen Alkohol. Mit Vorliebe betonte sie in einem moralisierenden Tonfall, dass sie nie etwas Stärkeres trank als Cola, allerdings nicht die Diätvariante. Gut zehn Dosen davon standen im Getränke- und Eisfach von Zeinabs riesigem amerikanischem Kühlschrank. Sie holte sich eine und zündete sich eine von ihren eigenen extralangen Zigaretten an, da es Zeinab und Algy unerklärlicherweise übersehen hatten, welche zu besorgen. Nachdem sie das Chicken Tikka in der Mikrowelle erhitzt hatte, kippte sie es auf einen Teller und trug es zu ihrem Sessel. Während sie abwechselnd einen Bissen Tikka verspeiste und an ihrer Zigarette zog, schaute sie sich ungerührt Carmels höchst unpassende Videoauswahl an. Mit weißen und braunen Schokoladestreifen im Gesicht kletterte Bryn auf ihren weichen Riesenschoß und schmiegte liebevoll seine Wange an ihren Hals. Geistesabwesend drückte ihn Reem mit einem Arm an sich und trank einen Schluck von ihrer Cola.
    Zeinab und Algy machten es sich im Warner Village Kino bequem. Dank Algy, der in Sachen Pünktlichkeit das genaue Gegenteil von Zeinab war, waren sie für die Vorstellung um achtzehn Uhr zwanzig früh dran.
    »Das ist eine blöde Zeit, um ins Kino zu gehen«, knurrte Zeinab. »Ich weiß nicht, warum wir nicht um halb neun gehen konnten.«
    »Weil deine Mama um acht Uhr nicht käme, darum. Sie sagt, sie mag es nicht, wenn sie nicht bis Mitternacht daheim ist, sie bräuchte ihren Schlaf.«
    »Sie was? Die hat doch seit

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