Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
müssen erst um zehn wieder zurück sein«, sagte er, »vielleicht sogar erst um halb elf, wenn ich deine Mama nach Hause begleite.«
    Will wartete auf der anderen Seite der Finchley Road auf seinen Bus. Er hatte seinen Vorsatz in die Tat umgesetzt. Er hatte den Film ein zweites Mal gesehen, hatte sich den bewussten Hinterhof gut eingeprägt und sich vergewissert, dass die Fassade des Hauses oder Ladens oder was auch immer es gewesen war nie gezeigt wurde. Er hatte sich die Lage des Juwelenverstecks genau gemerkt und auch das Aussehen der Transporttasche, eine schwarze Aktenmappe. Erneut war ihm das Schild an einem Laternenmast aufgefallen, auf dem stand, dass dies die Sixth Avenue war. Trotzdem war er nicht so glücklich, wie er es sonst immer am Freitagabend war. Becky hatte nicht angerufen.
    Erst an diesem Vormittag hatte er beschlossen, am Freitag ins Kino zu gehen statt am Samstag oder Sonntag. Becky könnte immer noch anrufen, um für einen dieser Tage ein Treffen zu vereinbaren. Vielleicht rief sie sogar jetzt an, während er fort war. Und dieser Gedanke flößte ihm Furcht ein. Unruhig wartete er, dass der Bus kam, damit er bald für ihren Anruf daheim wäre.
    Im Gegensatz zu Menschen, die nicht seine Probleme hatten, war Will beziehungsweise sein Gehirn von Natur aus nicht in der Lage, sich von Kümmernissen abzulenken, indem er sich auf etwas anderes konzentrierte. Vielleicht hätten der Schatz und sein Versteck zu diesem Zweck dienen können, wenn er ihn nicht vorübergehend fast vergessen hätte. Momentan kannte er nur einen Gedanken: Becky und der ausgebliebene Telefonanruf. Vielleicht war sie krank, vielleicht war ihr etwas zugestoßen. Da er nicht viel Fantasie besaß, konnte er sich nichts Konkretes vorstellen. In seinem Kopf waberte lediglich ein nebulöses unglückliches Gefühl herum. Wie ein Haustier, dessen Besitzer fortgegangen war und zwar für Futter und Wasser, aber nicht für Gesellschaft gesorgt hatte, fühlte er sich verlassen und verstört.
     
    Die Suche nach Jacky Miller war aus den Sonntagszeitungen verschwunden. Die weitaus aufregenderen Enthüllungen über Gaynor Ray – ihre Lebensweise, ihr Job und ihre Männerbekanntschaften – hatten sie verdrängt. Ein Artikel in einer Boulevardzeitung beschrieb sie als »Teil der Sexindustrie«, eine andere brachte auf einer ganzen Seite Interviews mit drei Männern, die mit ihr intimen Kontakt gehabt hatten. Sie war nicht erst seit einem Jahr vermisst worden, sondern bereits seit zwei. Ihr Freund erklärte, er sei durch diese Enthüllungen »am Boden zerstört«. »Trotz ihrer Tätigkeit«, sagte er, »hatte ich keine Ahnung, dass ich nicht der einzige Mann in ihrem Leben war. Wir wollten uns an Ostern verloben und hatten bereits Heiratspläne geschmiedet. Seit ich von den anderen erfahren habe, mit denen sie sich traf, bin ich restlos am Boden zerstört.« Aufgrund ihrer Recherchen deuteten die Journalisten an, Gaynor sei für den Rottweiler eine leichte Beute gewesen, da sie jede Mitfahrgelegenheit angenommen hätte, die ihr ein Mann anbot. Trotz der Proteste des Verbandes der Rottweilerzüchter und trotz des Fehlens jeglicher Bissspuren hatte sich dieser Name inzwischen allgemein eingebürgert. Als diese Artikel am Freitagabend und am Samstag erschienen, fühlte sich Caroline Dansks Stiefvater zu einer wütenden Verteidigung ihres moralischen Charakters herausgefordert. Jeder, der andeute, Caroline hätte jemals einen Mann angemacht oder sich von einem mitnehmen lassen, mache sich schuldig, weil er ein schlechtes Licht auf ein Mädchen werfen würde, das noch nicht einmal einen Freund gehabt hätte. Schließlich sei allgemein bekannt, dass sie bei ihrer Begegnung mit dem Rottweiler am Boston Place unterwegs zu einer Freundin war, deren Eltern »ein wunderschönes Haus« in der Glentworth Street besäßen. Seine Frau, Carolines Mutter, sei seit der Entdeckung der Leiche bettlägerig, und er befürchte allen Ernstes, derartige Verunglimpfungen könnten sie umbringen. Die Eltern von Nicole Nimms und Rebecca Milsom hatten der Presse nichts anvertraut.
    Als Inez das alles las, machten sich in ihr langsam Schamgefühle breit, weil sie zusätzlich zu ihrer abonnierten Tageszeitung noch das Boulevardblatt gekauft und gelesen hatte. Sie warf beide in den Papierkorb, setzte sich hin und überlegte, wie sie ihren Tag verbringen sollte. Obwohl es inzwischen fast Mittag war, herrschte im Haus völlige Stille. Ludmilla und Freddy lagen

Weitere Kostenlose Bücher